Es ist ein wunderbarer Sommertag, als sich die Staats- und Regierungschefs von 35 Staaten in der finnischen Hauptstadt Helsinki treffen und am 1. August 1975 ein hundertseitiges Dokument unterschreiben, das den etwas sperrigen Titel "Schlussakte der Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" trägt. Dahinter verbirgt sich das Ergebnis eines mehr als zweijährigen Verhandlungsmarathons, der auf eine Idee des Warschauer Paktes, dem damaligen Gegenstück der osteuropäischen Staaten zur NATO, zurückgeht.
Mitte der 50er Jahre unternimmt die sowjetische Führung den Versuch, eine Konferenz vorzuschlagen, bei der nur europäische Staaten über eine gegenseitige Grenzgarantie und eine Nichteinmischung in innerstaatliche Angelegenheiten verhandeln sollen. Weil damit die beiden nichteuropäischen NATO-Partner USA und Kanada aus Europa verdrängt werden würden, ist aus dieser Idee nichts geworden.
Niederschlagung des Prager Frühlings
1966 greift der Warschauer Pakt den Vorschlag erneut auf, dieses Mal ist die Reaktion positiv, weil die USA und Kanada an der Konferenz teilnehmen können. Als aber im Sommer 1968 der Prager Frühling von den Truppen des Warschauer Paktes militärisch niedergeschlagen wird, zieht der Westen seine Teilnahme wieder zurück.
Friede und Freiheit in Europa
Aber das politische Klima ändert sich mit der deutschen Ostpolitik unter der Regierung Brandt-Scheel, die ab 1970 Versöhnungsverträge mit den osteuropäischen Staaten auf den Weg bringt. Nun passt eine gesamteuropäische Friedensregelung in die politische Großwetterlage, und die westlichen Staaten stimmen einer "Konferenz über Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa" (KSZE) zu.
Am Ende wird neben der gegenseitigen Garantie der europäischen Grenzen die universelle Gültigkeit der Menschen- und Bürgerrechte verbunden mit garantierten Freiheiten unterschrieben: Gedanken-, Gewissens-, Religions- und Überzeugungsfreiheit. Darauf berufen sich in den folgenden Jahren zahlreiche Menschenrechtsgruppen in der DDR, in Polen oder der CSSR. So wurde das Schlussdokument von Helsinki zum Startschuss des Untergangs der sozialistischen Staatenwelt.
Ihr hört in "Eine Stunde History":
- Der Historiker Wilfried Loth ordnet die Bedeutung der Schlussakte von Helsinki in der europäischen Geschichte ein.
- Herrmann Wentker, Historiker vom Berliner Institut für Zeitgeschichte, erläutert, warum mit dem Dokument von Helsinki der Kalte Krieg nicht unmittelbar beendet war.
- Die Grünen-Politikerin Marieluise Beck ist Mitglied des Petersberger Dialogs und geht der Frage nach, ob man den KSZE-Prozess der 70er Jahre nicht heute wieder aufleben lassen könnte.
- Deutschlandfunk Nova-Geschichtsexperte Matthias von Hellfeld erläutert die Anfänge des vom Warschauer Pakt angeregten Dialogs über die gegenseitige Grenzgarantie in Europa.
- Deutschlandfunk-Nova-Reporter Armin Himmelrath schildert mit einem Augenzwinkern den Moment, in dem die Staats- und Regierungschefs der osteuropäischen Staaten sich dazu entscheiden, die Schlussakte zu unterschreiben.