Ronja von Wurmb-Seibel verzichtet komplett auf Nachrichten. Informationen holt sich die Reporterin woanders und setzt sich für ein Umdenken im Journalismus ein: weg von den ausschließlich negativen Schlagzeilen, hin zu einer lösungsorientierten und konstruktiven Berichterstattung.
Haltern am See liegt am nördlichen Rande des Ruhrgebiets oder eigentlich schon im südlichen Münsterland – je nach Sichtweise. Hier hat die Oma von Ronja von Wurmb-Seibel gelebt. Wenn Ronja ein paar Mal im Jahr zu Besuch kam, dann hat die Oma sie mit den allerneuesten Nachrichten ihrer näheren Umgebung versorgt. "Sie hat mir dann erzählt, wer alles gestorben ist, wer Krebs bekommen hat, wer spielsüchtig geworden ist und wer sich getrennt hat", erinnert sich Ronja. "Und ich kann mich körperlich an den Moment erinnern, an dem ich gedacht habe: die armen Menschen in Haltern am See. Da passieren ja nur die schrecklichsten Dinge."
"Ich habe keine FOMO (Fear of missing out) mehr."
Afghanistan: Suche nach etwas, das Mut macht
Später hat Ronja dann verstanden: Haltern ist natürlich im Prinzip nicht besser oder schlechter als andere Städte. Aber wir Menschen fokussieren eben häufig auf die negativen Erlebnisse und Vorkommnisse in unserem Umfeld. Besonders intensiv erlebt hat Ronja das, als sie in den Jahren 2013 und 2014 in Afghanistan gelebt hat. Von hier wollte sie als Journalistin berichten, und das tat sie auch: "Ich habe zum Beispiel über drogenabhängige Kinder berichtet", sagt sie. "Und dann habe ich gemerkt: Ich halte das nur aus, wenn ich auch irgendetwas Ermutigendes in den Geschichten finden. Das war für mich erst einmal ein Selbstschutz. Damit es mir gut genug geht, um weiter machen zu können."
"Ich höre bewusst keine Nachrichten, die einfach so auf mich zukommen."
Mit diesem Gefühl ist Ronja nicht allein. Mittlerweile gibt es wissenschaftliche Erkenntnisse, die zeigen: Unser Wohlbefinden oder sogar unsere Gesundheit leidet, wenn wir zu viele oder fast ausschließlich katastrophale Aspekte der Welt wahrnehmen. "Wenn wir nur negative Informationen und Geschichten wahrnehmen, setzt gelernte Hilflosigkeit ein. Wir glauben, nichts ausrichten zu können, auch wenn das nicht stimmt", sagt Ronja.
Warum zu viele Negativ-Nachrichten der Psyche schaden
"Die meisten von uns glauben, die Welt ist viel schlechter als sie tatsächlich ist." Dieses Gefühl kann so stark werden, dass man von einer prätraumatischen Belastungsstörung spricht, die Angst vor einer möglichen, aber meistens sehr unwahrscheinlichen Katastrophe wird zur großen Belastung. Ihre Erkenntnisse und Ideen hat Ronja nun in einem Buch aufgeschrieben: "Wie wir die Welt sehen – Was negative Nachrichten mit unserem Denken machen und wie wir uns davon befreien".
"Nachrichten sind nicht das Abbild unserer Welt."
Wichtig ist Ronja, dass wir sie nicht falsch verstehen, gerade mit Blick auf den Journalismus. Es gehe nicht darum, ein rosarotes Bild der Wirklichkeit zu zeichnen oder die Augen vor Problemen zu verschließen. "Um Lösungen aufzuzeigen, muss ich die Probleme ja verstanden haben. Es geht nicht um Eskapismus", sagt sie. Es gehe ihr darum, auch zu fragen, was als nächstes geschieht, wie Lösungen aussehen können oder wer vielleicht schon eine Idee zur Verbesserung hat.
Lösungsorientierte Fragen kommen in Berichterstattung zu kurz
Diese Art der Fragen und Berichterstattung würden im Journalismus, insbesondere in Nachrichten, zu kurz kommen. "Nachrichten zeigen häufig, was sich heute Neues im Vergleich zu gestern getan hat, das sind aber nicht immer die wichtigsten Entwicklungen." Im Journalismus gibt es schon seit mehreren Jahren eine Bezeichnung für diese Art des Umdenkens: konstruktiver Journalismus.
Im Deep Talk spricht Ronja von Wurmb-Seibel mit Sven Preger darüber, wie man konstruktiv aus Afghanistan berichten kann, wie wir mit negativen Nachrichten umgehen können und welches mutige Mädchen lange Zeit ihr großes Vorbild war (Spoiler: Es könnte etwas mit ihrem Namen zu tun haben!).
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