Die Unterschiede zwischen den Geschlechtern sind immer noch groß: Frauen übernehmen den größeren Anteil der Hausarbeit, verdienen weniger, haben weniger Freizeit und weniger Orgasmen beim gemeinsamen Sex. Mit verantwortlich für diese Gaps sind bestimmte Rollenvorstellungen, die es zu überwinden gilt, sagt Autorin Ann-Kristin Tlusty.
Es ist eigentlich nur ein kleines, aber aussagekräftiges Beispiel: "Neulich hat mir eine Freundin erzählt, dass sie die Booster-Impfung für ihren Freund organisiert hat", sagt Ann-Kristin Tlusty. Dabei hätte es dafür eigentlich keinen richtig guten Grund gegeben. Die Freundin habe sich halt gekümmert, damit Care-Arbeit übernommen und so bestehende Rollenmuster reproduziert. "Dabei ist das Bewusstsein dafür in meinem Freundeskreis durchaus vorhanden", sagt sie.
Auseinandersetzung mit weiblichen Rollenbildern
Die Autorin setzt sich in ihrem aktuellen Buch vor allem mit weiblichen Rollenbildern und dem Feminismus auseinander. Der Titel: "Süß. Eine feministische Kritik."
"Der Gender-Care-Gap ist der Kern allen Übels."
Dabei greifen diese Muster noch häufiger und stärker in heterosexuelle Beziehungen. "Diese Art von (unbewusstem) Ungleichgewicht findet man in queeren Beziehungen weniger", sagt Ann-Kristin Tlusty. "Selbst wenn die Frau in heterosexuellen Beziehungen mehr verdient, ist es trotzdem noch so, dass sie abends die Wäsche wäscht und das Bad putzt."
"Weibliche Arbeit ist weniger wert."
Jungs dürfen länger Kind sein
Der Ursprung dieser Rollen habe viel mit der Sozialisation zu tun. "Jungs dürfen länger Kind sein und in diesem Sinn verantwortungslos", sagt Ann-Kristin Tlusty. Wenn sich Mädchen um etwas kümmern würden, würden sie dafür außerdem häufig Bestärkung etwa von Großeltern bekommen. Diese Bestätigung könne früh Rollen und Verhalten manifestieren.
"Frau zu sein kann dann bedeuten: Das Begehren anderer wird zum eigenen Begehren." Dieses Rollenverständnis könne sich wiederum auf viele Lebensbereiche auswirken: Hausarbeit, Partnerschaft, Sexualität. Es käme darauf an, die alten Rollenmuster zu durchbrechen. "Männlichkeit und Weiblichkeit sind nicht binäre Pole, sondern eher etwas, das wir uns alle aneignen können", sagt Ann-Kristin Tlusty.
"Ich bin für die Abschaffung von Männlichkeit und Weiblichkeit."
Dabei habe sich der Feminismus in den vergangenen Jahren häufig darauf konzentriert, was jede einzelne in ihrem und jeder einzelne in seinem Leben tun und verändern könne. "Feminismus ist eine Frage des individuellen Lifestyles geworden", beklagt Ann-Kristin Tlusty. Dieses Verhalten verkenne die Rolle dahinter liegender Strukturen. "Der individuelle Handlungsspielraum ist gar nicht so groß, wie man sich das immer erträumt."
"Scheitern ist nicht individuell, sondern strukturell. Es stimmt nicht, zu denken: Du kannst alles erreichen, wenn du nur willst und clever genug warst."
Im Deep Talk spricht Ann-Kristin Tlusty mit Sven Preger über Gender Gaps, ihr vorbildlich feministisches Bücherregal und warum wir vielleicht darüber nachdenken sollten, Männlichkeit und Weiblichkeit abzuschaffen.
Zum Thema Geschlechterrollen und -identität sind ebenfalls die beiden vorangegangenen Folgen des Deep Talks interessant:
- Schlecky Silberstein über Männlichkeit | "Männlichkeit kann ein ganz gemeines Gefängnis sein"
- Felicia Ewert über Transfeindlichkeit | "Was nicht hetero ist, wird als Abweichung dargestellt"
Wir freuen uns über eure Mails an mail@deutschlandfunknova.de