Gerüche wecken Erinnerungen, helfen bei der Partnerwahl – allein das ist faszinierend. Aber: Sie spielen auch eine Rolle bei der Befruchtung einer Eizelle, bei Diabetes und bei der Diagnose und Behandlung von Krebs. Ein Vortrag des Riechforschers Hanns Hatt.
Philosoph Immanuel Kant hielt den menschlichen Geruchssinn für den entbehrlichsten aller Sinne, Zellphysiologe Hanns Hatt würde da energisch widersprechen. Allerdings hatte Kant auch noch nicht die wissenschaftlichen Erkenntnisse über das Riechen, die sich auch der Forschung Hanns Hatts verdanken.
Der erste aller Sinne: Geruch
Laut Hanns Hatt ist der Geruchssinn der erste Sinn, den wir als Menschen entwickeln, schon im Mutterleib. Im Alter dagegen nimmt er ab. So sei ein Drittel der Menschen jenseits der 75 bereits geruchsblind. Hanns Hatt beschreibt, wie das Riechen funktioniert, wie die Nase Moleküle in Gerüche übersetzt und welche Wirkung Düfte haben. Neben diesem System gibt es noch ein weiteres, das trigeminale. Der Trigeminus-Nerv reagiert auf starke Reize:
"Wer schon mal eine Peperoni zerkrümelt hat und danach mit den Fingern ins Auge kommt, weiß: Da brennt es dann genau wie im Mund. Und wenn Sie in der Nase bohren, wird es auch in der Nase brennen."
Inzwischen sind viele Moleküle entschlüsselt. So wissen wir, dass wir für den typischen, etwas adstringierenden Geschmack eines im Barrique ausgebauten Weines Polyphenole verantwortlich sind. Was, so der Riechforscher, prompt dazu geführt hat, dass diese künstlich zugesetzt werden. Ob wir Gerüche positiv oder negativ empfinden, sei kulturell überformt. Das werde im Marketing genutzt, zum Beispiel beim Beduften von Autoinnenräumen.
"Die Dufterinnerungen in unserem Gedächtnis sind die stabilsten, die wir überhaupt haben."
In den Nervenzellen der menschlichen Riechschleimhaut finden sich etwa 350 Rezeptoren für unterschiedliche Gerüche. Aber: Riechen findet nicht nur in der Nase statt. Laut Hanns Hatt sind die Duftstoffe eines Parfums, das wir auf die Haut auftragen, zehn Minuten später in hoher Konzentration im Blut nachweisbar.
Mit dem Herzen riechen
Rezeptoren für Gerüche finden sich allerdings nicht nur auf unserer Haut, sondern auch auf inneren Organen und in Spermien. Bestimmte Gerüche wie Sandelholz beeinflussen die Beweglichkeit und das Wachstum der Haut und sie könnten eine Rolle bei der Wundheilung und Regeneration nach Verletzungen spielen.
"Wir finden, dass in Krebszellen andere Duft-Rezeptoren sind als in gesunden Zellen desselben Gewebes."
Die Reaktion von Rezeptoren auf bestimmte Düfte könnte wichtig werden bei der Behandlung von Diabetes. Auch in der Krebsforschung sei laut Hanns Hatt denkbar, zur Diagnose und Behandlung diese Zusammenhänge fruchtbar zu machen.
Hanns Hatt hält den Lehrstuhl für Zellphysiologie an der Ruhr-Universität Bochum, er hat Chemie, Biologie und Medizin studiert. Seinen Vortrag mit dem Titel "Immer der Nase nach - Wie Düfte unser Leben bestimmen" hat er am 24. November 2022 in der Reihe "Dialog im Museum" in Stuttgart gehalten, auf Einladung der Daimler und Benz Stiftung.