Obwohl Händler in Deutschland seit 2020 per Gesetz eine sogenannte "Obhutspflicht" für ihre Produkte haben, vernichtet Amazon nach wie vor systematisch Neuware. Es fehlt an Kontrollen und Bußgeldkatalog.
Vielleicht habt ihr bei den Herbst-"Prime Days" zugegriffen, als wieder viele Produkte als angebliche oder tatsächliche Rabatt-Schnäppchen angeboten wurden, oder gehört ihr zu den Amazon-Kritiker*innen? Denn der Internet-Versand-Riese macht mit seinen Geschäftspraktiken Einzelhändler platt und bezahlt seine Mitarbeitenden schlecht. Außerdem gibt es viel Kritik aus Klimaschutz- und Umweltgründen: Amazon vernichtet systematisch Neuware, von der Babydecke bis zum Notebook.
Ganze Paletten und Container landen im Müll, das zeigen Recherchen von ZDF und Business Insider: "Trotz Gesetz – Neuware und Retouren im Müll" lautet die Schlagzeile beim ZDF. Bereits am 20. Mai 2021 haben NDR und Die Zeit ihre Recherchen zum gleichen Thema veröffentlicht – samt Insider-Zeugenaussagen, eingeschleusten Mitarbeitern und Bild-Beweisen. Auch 2019 und 2018 gab es solche Reportagen, und das lässt sich so weiterführen.
Und natürlich haben wir auch hier bei Deutschlandfunk Nova schon häufig über das Thema Warenvernichtung berichtet:
"Obhutspflicht" wird nicht kontrolliert
2020 wurde im sogenannten Kreislaufwirtschaftsgesetz (KrWG) zwar eine "Obhutspflicht" der Händler für ihre Waren eingeführt. Problem: Diese Pflicht ist sehr schwammig formuliert. "Da derzeit keine Rechtsverordnung zur Umsetzung der Obhutspflicht existiert, kann bei einer Warenvernichtung kein Bußgeld erhoben werden" lautet die ziemlich ernüchternde Antwort des Bundesumweltministeriums gegenüber dem Business Insider.
"Laut der aktuellen Reportage gibt es keinerlei behördliche Kontrollen in den Amazon-Lagerhäusern, was dort an Neuware entsorgt wird."
Tatsächlich fehle es an behördlichen Kontrollen in den Amazon-Lagerhäusern, um überhaupt festzustellen, ob und wie viel an Neuware entsorgt wird. Zu den Rechercheergebnissen gehören auch Fotos, auf denen mit Folie umhüllte Paletten zu sehen sind, die Informant*innen gemacht hätten. Darauf sind Kartons mit Staubsaugern, Bluetooth-Lautsprecherboxen, Hoverboards, Astschneider oder Keyboards zu sehen, laut Greenpeace aber auch Babydecken bis hin zu Notebooks.
Ware vor allem von Drittanbietern
Amazon habe die Zettel an den Paletten mittlerweile von "Destroy" in "Remove" umbenannt. Was da aus den Warenhäusern "entfernt" wird, sind unverkäufliche Artikel, die ganz überwiegend von sogenannten Drittanbietern kommen. Diese nutzen die Amazon-Infrastruktur, Angebot und Verkauf erfolgt aber auf eigene Rechnung. Die Produkte, auf denen sie sitzen bleiben, für die sie keine Kunden finden, bleiben im Lager. Oder eben nicht: Da die Lagerhaltung Geld kostet, werden die Produkte entsorgt.
"Die Produkte, für die die Drittanbieter keine Käufer*innen finden, bleiben im Lager. Oder eben nicht: Da die Lagerhaltung Geld kostet, fliegen die Produkte raus."
Die Produkte zunächst noch günstiger anzubieten, haben die Händler*innen möglicherweise schon versucht. Sie zu verramschen, sei aber auch keine sinnvolle Lösung. Denn damit schade man der Nachfrage für ein Nachfolgeprodukt oder beschädigt das Markenimage und den "Normalpreis".
Verteilen ist aufwendiger und teurer als vernichten
Könnte man die Produkte dann nicht – wenigstens teilweise – spenden? Die Antwort ist ebenfalls frustrierend: Verteilen ist aufwendiger und teurer als vernichten.
Zum einen müssten die Händler sicherstellen, dass ihre Produkte, wenn sie sie kostenlos abgeben, dann nicht eben doch noch von irgendjemandem, der sie abgreift, verramscht werden.
Außerdem kostet das Spenden im Gegensatz zum Vernichten einen Händler immer noch Steuern. Auch dieses Problem hat die Politik noch nicht in den Griff bekommen.
"Das Spenden kostet einen Händler Steuern – im Gegensatz zum Vernichten. Dieses Problem hat die Politik noch nicht in den Griff bekommen."
Fazit: Fehlende Kontrolle und Bußgelder sorgen dafür, dass sich nichts ändert. Die Politik ist gefordert, Rahmenbedingungen zu schaffen.