Nach dem Terrorangriff der Hamas auf Israel wurde Michael eingezogen. Mehrere Wochen war er im Gazakrieg im Einsatz. Sollte er zurückmüssen, will er verweigern. Denn er will nicht mehr Teil der israelischen Kriegsführung sein.
In die Armee eingezogen zu werden damit müssen Reservesoldat*innen in Israel rechnen. Kriegsdienst leisten muss hier so gut wie jeder und jede. 2023 verfügten die israelischen Verteidigungsstreitkräfte (IDF) über 465.000 Reservist*innen, einer von ihnen ist Michael. Doch ein Einsatz im Herbst 2023 veränderte ihn mehr als er womöglich erwartet hätte. Björn Dake, ARD-Korrespondent für Israel und die palästinensischen Gebiete, hat Michael getroffen und erfahren, wie es dazu kam.
Gazastreifen: Ein Einsatz, der Zweifel nach sich zieht
Nach dem Terrorangriff der Hamas am 7. Oktober 2023 wird Michael als Offizier in der Infanterie eingezogen. Das bedeutet nicht, dass er im Gazastreifen vor Ort ist. Seine Aufgabe ist es, an einem Bildschirm im Hauptquartier die Einsätze live mitzuverfolgen. Als "Control Officer" muss er überprüfen, wo seine Einheiten unterwegs sind und deren Ziele checken.
Die Einsätze per Bildschirm zu verfolgen bezeichnet Michael als surreal, wie in einem Youtube-Video. Er berichtet von Gebäuden, die nach einem Beschuss zusammenfallen und der Ungewissheit, ob unter den Trümmern womöglich Menschen liegen. Und er berichtet von der Schwierigkeit, der die Soldaten ausgesetzt sind. Denn die Hamas kämpft nicht in Uniform. Sie sind in zivil gekleidet, haben ihre Waffe nicht immer dabei, sondern vielleicht im Haus nebenan versteckt. Das heißt, die israelischen Soldaten müssen innerhalb von Sekunden entscheiden: Hamas oder Zivilist.
"Kein Soldat in diesem Krieg hat den kompletten Überblick, vielleicht auch damit man nicht zu sehr ins Grübeln kommt."
Michael ist es wichtig zu betonen, dass nicht alle Soldaten "kriegslüstern" umherlaufen, sagt Björn Dake. Dennoch spricht er sich dafür aus, offen und kritisch darüber zu sprechen, wie viele Opfer durch Israels Kampfhandlungen derzeit in Kauf genommen werden.
Doch die Zweifel am Einsatz kommen Michael erst, als er wieder zuhause ist. Den finalen Auslöser gibt ein Ereignis im Januar dieses Jahres. Da erschießt die israelische Armee irrtümlicher Weise von der Hamas festgehaltene israelische Geiseln.
Mehrheit der Bevölkerung unterstützt den Krieg so wie er ist
Inzwischen spricht Michael öffentlich über seine Erfahrungen und seine Zweifel, und er kritisiert die Regierung Benjamin Netanjahus scharf. Außerdem macht er sich für ein neues Geiselabkommen stark. 240 Menschen verschleppte die Hamas bei dem Terroranschlag vom 7. Oktober. Die Hälfte ist immer noch in der Gewalt der Hamas. Es wird davon ausgegangen, dass viele von ihnen tot sind.
"Wir nehmen zu viele zivile Opfer in Kauf. Und deshalb muss ich über diesen Einsatz berichten, damit die Leute aufwachen."
Mit seiner Kritik an der aktuellen Kriegsführung gehört Michael zur Minderheit in Israel, sagt Björn Dake. Innerhalb der israelischen Armee gibt es zwar (meist anonyme) Berichte von Soldaten, die Ähnliches berichten wie Michael. Die wenigsten äußern sich aber so öffentlich wie der Reserveoffizier. Die israelische Armee selbst hat trotz mehrmaliger Nachfrage nicht zu den Berichten von Michael geäußert, so Björn Dake.
Für Michael steht inzwischen fest, dass er kein Teil der aktuellen Kriegsführung sein wird. Das heißt: Sollte er erneut eingezogen werden, wird er nicht hingehen. Seinen Kommandeur hat er schon vorgewarnt. Es könne also sein, dass der sich gar nicht mehr bei Michael meldet, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen, ordnet Björn Dake ein. Sollte die Einberufung dennoch kommen, drohen Michael drastische Konsequenzen bis hin zu Arrest. Den, sagt Michael, ist er bereit in Kauf zu nehmen. Denn so etwas wie Verweigerung gibt es in der israelischen Armee nicht.
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