Die Ampel bricht auseinander. Kanzler Scholz ist so emotional wie selten, Finanzminister Lindner wird entlassen, Verkehrsminister Wissing tritt aus der FDP aus und bleibt im Amt. Die Schuldzuweisungen sind voll in Gange. Was passiert in Berlin – und was erwartet uns jetzt?
Die Ampelkoalition zwischen SPD, Grünen und FDP ist zerbrochen. Die Spannungen zwischen Bundeskanzler Olaf Scholz und dem bisherigen Finanzminister Christian Lindner haben sich über Wochen hinweg aufgebaut. Lindner sprach von einem "Herbst der Entscheidungen".
Anfang November wurde dann ein Thesenpapier Lindners öffentlich, in dem er Maßnahmen skizzierte, wie aus seiner Sicht die Wirtschaft in Deutschland angekurbelt werden könnte. Dieses Papier war letztlich der Ausgangspunkt für die dramatischen Auseinandersetzungen während des Koalitionsgipfels am Mittwochabend.
"Zu oft hat Lindner mein Vertrauen gebrochen."
Ausschlaggebend für den Koalitionsbruch sei, so verlautet es aus Kreisen der SPD und der Grünen-Teilnehmer am Koalitionsgipfel, Lindners Festhalten an der Schuldenbremse.
Bundeskanzler Scholz wollte wohl eine erneute Notlage ausrufen, um Gelder für die militärische Ukrainehilfe bereitzustellen.
Eine Notlage berechtigt eine Bundesregierung zu zusätzlichen Schulden, die höher ausfallen können als die in der Schuldenbremse festgelegte Obergrenze.
Das Bundesverfassungsgericht hatte allerdings im November 2023 striktere Regeln für eine solche Notlage erklärt. Lindner wollte dem Ausrufen einer Notlage nicht zustimmen und forderte von Scholz Neuwahlen. In einer scharf formulierten Rede im Bundeskanzleramt wurde Scholz ungewohnt deutlich:
"Zu oft hat Bundesminister Lindner kleinkariert parteipolitisch taktiert. Zu oft hat er mein Vertrauen gebrochen."
Mit diesen Worten entließ der Kanzler den FDP-Vorsitzenden und löste damit das endgültige Zerbrechen der Ampelkoalition aus. Die Trennung erfolgte mit einem beispiellosen Machtwort – ein Schritt, der in Berlin Wellen schlug.
Spontan vom Teleprompter abgelesen?
Steffen Wurzel, Korrespondent im Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio, merkt dazu an, dass die Reaktionen vieler Politikbeobachter zwischen Überraschung und Enttäuschung schwankten. Für Wurzel, der gerade von einem Einsatz in der Ukraine zurückkehrte, war es ein schockierender Moment – trotz der Anzeichen, die auf den Zerfall der Koalition hindeuteten.
"Es wirkt, als sei Scholz' Rede vorbereitet. Aber hey, das ist sein gutes Recht. Ich vermute: Lindner hat sich einfach verzockt."
Es wirkte, analysiert Wurzel, als sei Scholz' Rede vorbereitet gewesen. Das allerdings sei auch politischer Alltag, sich auf verschiedene Szenarien vorzubereiten. Die FDP und Lindner provozierten in der Vergangenheit immer weiter – jetzt haben sie sich einfach verzockt, vermutet Wurzel.
Die FDP ging ihrerseits auf Konfrontation, und die Entscheidung des Kanzlers markierte nicht nur das Ende der Ampelkoalition, sondern könnte nun auch in Richtung Neuwahlen führen.
Während Christian Lindner die FDP-Minister zurückrief, entschied Verkehrsminister Volker Wissing überraschend, aus der FDP auszutreten und im Amt zu bleiben – ein Schritt, der die Zerrissenheit innerhalb der FDP und die Ambitionen Wissings unterstreicht.
Grundgesetz regelt, wie es weitergeht
Das politische Chaos alarmiert auch Wirtschaftsverbände und Gewerkschaften, die rasche Neuwahlen fordern. Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier gab derweil eine beruhigende Erklärung ab – das Ende der Koalition sei nicht das Ende der Welt.
"Das Ende einer Koalition ist nicht das Ende der Welt. Es ist eine politische Krise, die wir hinter uns lassen müssen und werden."
Damit erinnert er die Bevölkerung daran, dass die Verfassung Deutschlands Stabilität bietet. Für Steffen Wurzel ist die Lage unübersichtlich, aber nicht "übel" – der Zeitpunkt für eine Regierungskrise sei ungünstig.
Nächste Woche, zum Beispiel, beginne die Weltklimakonferenz; man müsse Antworten auf den zukünftigen US-Präsidenten Trump finden und schnell die Wirtschaft stärken. Übel sehe es hingegen, so Wurzel, in der Ukraine aus.
"Es ist natürlich ungünstig, weil jetzt politische Energie in den Wahlkampf fließt, während globale Krisen eigentlich unsere Aufmerksamkeit fordern – Ukraine, Nahostkonflikt, Klima."
Olaf Scholz plant, die Vertrauensfrage erst im Januar zu stellen. Steffen Wurzel sagt, SPD und Grüne wollten so Zeit gewinnen, um Argumente zu liefern, warum man als Wählerinnen und Wähler doch weiterhin die SPD oder die Grünen wählen sollte.
Ein politischer Schachzug könnte sein, dass man für die Opposition eigentlich zustimmungsfähige Gesetze in den Bundestag einbringt und bei Ablehnung in Richtung CDU/CSU und FDP zeigt. Verhindert hätten dann die Gesetze, so die Überlegungen bei SPD und Grünen, nicht die Minderheitsregierung, sondern die Opposition.
Weiterhin unklar: Der Haushalt 2025
Deshalb drängen Friedrich Merz von der CDU und Alexander Dobrindt von der CSU auf baldige Neuwahlen und auf die Vertrauensfrage in der kommenden Woche.
Dann gäbe es mit einer Regierungserklärung von Bundeskanzler Olaf Scholz eine Möglichkeit. Unklar ist und bleibt, wie mit dem Haushalt für das kommende Jahr verfahren werden wird. Eigentlich sollte im November intensiv über den Haushalt 2025 beraten werden.
Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de