Läuft nicht bei der Ampel. Streit und gegenseitiges Misstrauen gibt es schon lange, aber jetzt könnte der Bruch der Regierung kurz bevorstehen. Was passiert, wenn die Koalition zerbricht? Und wem würde das nützen?
Gestartet als Koalition, die "mehr Fortschritt wagen" wollte, scheint es derzeit mehr als fraglich, ob die Ampel-Regierung noch zukunftsfähig ist. Selbst erfahrene Journalisten wie der Leiter des Deutschlandfunk-Hauptstadtstudios, Stephan Detjen, beschreiben die Situation als einzigartig in ihrer Erfahrung. Er habe so etwas in seiner Laufbahn noch nicht erlebt.
"Das ist eine Situation, die habe ich so noch nicht erlebt."
Die politische Spannung und die zunehmenden Konflikte innerhalb der Koalition stellen das Land vor grundlegende Fragen: Kann die Ampelkoalition die Probleme noch lösen, oder ist der Weg für Neuwahlen unausweichlich?
Streit statt Fortschritt: Was läuft schief in der Ampel?
Gestartet als Fortschrittskoalition in zentralen Themen wie etwa der Legalisierung von Cannabis oder der Reform des Selbstbestimmungsrechts, überwiegt jedoch – ein Jahr vor der nächsten regulären Wahl – der Streit in der Ampel-Regierung.
SPD, Grüne und FDP stritten sich in der Vergangenheit etwa um den Tankrabatt, die Kindergrundsicherung, die Kindergelderhöhung, die Rente, das Bürgergeld, um Waffenlieferungen an die Ukraine, Vorratsdatenspeicherung, Bürokratieabbau und um das Wachstumschancengesetz.
Kubicki könne sich über Baerbock nicht neutral äußern
Beim Heizungsgesetz und beim Atomausstieg gab es besonders heftige Diskussionen. Der Streit um die Entscheidung zum zeitweisen Weiterbetrieb der damals noch aktiven Atomkraftwerke konnte letztendlich nur dadurch entschieden werden, dass Kanzler Olaf Scholz per Brief von seiner Richtlinienkompetenz als Kanzler Gebrauch machte.
Zwischenzeitlich sind diese Meinungsverschiedenheiten in der Öffentlichkeit kaum noch zu übersehen. Der FDP-Vizechef Wolfgang Kubicki, bekannt für seine unverblümte Kritik, sagte über Annalena Baerbock von den Grünen, es falle ihm schwer, sich über die Außenministerin neutral zu äußern.
"Es fällt mir schwer, mich zu der Außenministerin neutral zu äußern. Ich habe schon Schwierigkeiten damit, dass sie 136.000 Euro für Frisuren oder Visagistinnen ausgibt und glaubt, das muss so sein."
Noch drastischer äußerte sich Kubicki in Bezug auf Wirtschaftsminister Robert Habeck. Er sagte, entweder müsse das Heizungsgesetz weg oder Robert Habeck müsse weg.
Robert Habeck wiederum teilte ebenfalls aus – in Richtung Finanzminister Christian Lindner von der FDP. Sollte er Kanzler werden, gehöre Christian Lindner nicht mehr seinem Kabinett an.
"Sollte ich jemals Bundeskanzler werden, wird Christian Lindner nicht Finanzminister werden."
Auch innerhalb der Grünen und SPD gibt es Spannungen. Omid Nouripour, Co-Vorsitzender der Grünen, nannte die Ampel jüngst eine "Übergangsregierung". Auch die SPD, ursprünglich der eher gemäßigte Partner in der Koalition, zeigt sich zunehmend kritisch. Co-Parteichefin Saskia Esken bezeichnete ein eigenes Wirtschaftsgipfeltreffen der FDP als "ein bisschen kindisch".
"Dass das aber an dem Tag stattfindet, wo der Bundeskanzler zu seinem Industriegipfel ins Bundeskanzleramt eingeladen hat, ist schon ein bisschen kindisch."
All dies verstärkt den Eindruck, dass die Ampelkoalition in ihrer bisherigen Form kaum weiter bestehen kann.
Neuwahlen oder Minderheitsregierung?
Wenn die Ampelkoalition tatsächlich scheitern sollte, stehen verschiedene Alternativen zur Debatte. Stephan Detjen aus unserem Hauptstadtstudio zufolge könnten Neuwahlen im Raum stehen.
Das Verfahren dafür ist komplex: Der Bundestag müsste zunächst durch ein Misstrauensvotum aufgelöst werden, und es läge dann an Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, Neuwahlen anzuordnen.
Ein möglicher Wahltermin könnte laut Detjen der 9. März sein. Besonders die CDU dürfte von Neuwahlen profitieren, da sie laut Umfragen deutlich vorne liegt.
Detjen erklärt, es habe in der Geschichte der Bundesregierung bisher noch keine Regierung gegeben, die in Umfragen so unbeliebt war wie die derzeitige.
"Es gibt kein Vertrauen. Auch die anderen Parteien in der Regierung sagen, das wird nicht mehr gut, die sagen ganz offen, diese Koalition ist gescheitert."
Neben Neuwahlen ist auch eine Minderheitsregierung denkbar, bei der SPD und Grüne ohne die FDP weiterregieren würden. Dies würde jedoch bedeuten, dass die Regierung keine stabile Mehrheit mehr hätte und bei jeder Entscheidung auf Unterstützung aus anderen Fraktionen angewiesen wäre.
"Eine Minderheitsregierung wäre keine wirkliche Alternative. Der Druck von der Opposition, aber auch von uns, von den Medien, wäre sehr, sehr stark."
Doch Stephan Detjen aus dem Deutschlandfunk-Hauptstadtstudio sieht keine wirkliche Option in einer Minderheitsregierung. Er geht davon aus, dass der Druck durch die Opposition und die Medien zu groß wäre.
Systemneustart oder doch nur Krisenmodus?
Detjen selbst hält Neuwahlen für den besten Ausweg, obwohl er die damit verbundenen Risiken nicht unterschätzt.
"Ich glaube, diese Regierung kommt nicht mehr richtig zusammen. Ich glaube, Wahlen wären eine Chance, da jetzt so ein Stück einen Reset zu machen."
Er sieht darin eine Möglichkeit, das Vertrauen der Bürger in die politische Stabilität wiederherzustellen.
Seiner Meinung nach wäre eine Lähmung der Politik bis September 2025 kontraproduktiv. Ein Weitermachen wie bisher könnte zu einer Stärkung der politischen Ränder führen.
Wer profitiert von Neuwahlen?
Doch auch Neuwahlen könnten extremen Parteien und politischen Rändern wie der AfD und dem neuen Bündnis um Sahra Wagenknecht zugutekommen.
Eine Sperrminorität sieht Detjen im Bereich des Möglichen. Eine Sperrminorität haben Parteien, wenn sie mehr als ein Drittel der Sitze im Bundestag erhalten. Dann würden bestimmte Entscheidungen, zum Beispiel die Wahl von Verfassungsrichtern, aber vor allen Dingen Grundgesetzänderungen, nur noch mit Zustimmung einer dieser Parteien, etwa BSW oder AfD, möglich sein.
Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de