19. Dezember 1980: Der jüdische Verleger Shlomo Lewin und seine Freundin Frida Poeschke werden in ihrem Haus erschossen. Die Polizei tappt lange im Dunkeln, sie übersieht naheliegende Hinweise auf rechtsextreme Kreise. Der Historiker Uffa Jensen erinnert an den ersten antisemitischen Mord in Deutschland nach 1945 und erklärt, was wir daraus lernen sollten.
Eine Sonnenbrille, Fußspuren im Schnee, acht Projektile, ein verbogenes Metallteil – das sind die einzigen Hinweise, die die Ermittler vor Ort finden, nachdem Frida Poeschke und ihr jüdischer Partner Shlomo Lewin in ihrem Haus in Erlangen ermordet worden waren. Die Polizei ermittelt im privaten Umfeld. Eigentlich ein normales Vorgehen – allerdings gibt es auch Hinweise, dass es sich um eine rechtsextreme und antisemitische Tat handeln könnte.
"Da passiert der erste antisemitische Mord seit 1945 auf deutschem Boden, und die Polizei schaut nicht hin."
Nicht nur die Polizei stochert monatelang in der persönlichen Umgebung der Opfer, auch die Medien spekulieren wild und diffamieren Lewin teils. Die Mutmaßungen reichen von einer eifersüchtigen Expartnerin über private Streitigkeiten bis hin zur Verdächtigung, Lewin könnte Mossad-Agent gewesen sein. Es dauert lange, bis die Ermittler auf die Fährte der Wehrsportgruppe Hoffmann kommen, aus deren Umfeld der vermutete Täter stammt, der Neonazi Uwe Behrendt.
"Grundsätzlich fällt an dem Fall auf, dass man ziemlich weitgehend unfähig war, sich Antisemitismus als ein Motiv für diese Tat vorzustellen."
Erst im Jahr 1984 gibt es einen Prozess gegen den Gründer der Wehrsportgruppe Karl-Heinz Hoffmann und seine Lebensgefährtin Franziska Birkmann als Mittäter. Sie werden freigesprochen. Der nach dem Urteil des Gerichts mutmaßliche Einzeltäter Behrendt gilt zu dem Zeitpunkt schon Jahre als tot – er soll sich rund neun Monate nach der Tat im Libanon umgebracht haben. Verurteilt ist für den Doppelmord bis heute niemand.
Struktureller Antisemitismus als Ermittlungshürde
Der Historiker Uffa Jensen hat diesen Fall akribisch aufgearbeitet und ein Buch darüber geschrieben. In seinem Vortrag erklärt er, wie die Untersuchungen damals abliefen, und welche Versäumnisse es dabei gab. Er arbeitet heraus, wie blind die Ermittler für Antisemitismus und Rechtsextremismus als Motiv waren und fragt, warum das so war.
"Da müssen wir die Frage stellen, wie antisemitisch das alles vielleicht doch war."
Dass politische Interessen gewirkt haben könnten, hält er für denkbar. Er fragt sich vor allem aber, ob es nicht auch mentale Strukturen in den Köpfen der Ermittler gab, die dazu führten, dass sie nicht richtig hinschauten und möglicherweise das Konzept politischer rechter Gewalt übersahen oder verharmlosten. Diese Frage nach strukturellem Antisemitismus, so zeigt er in seiner Analyse, ist heute genauso wichtig und aktuell wie damals.
Uffa Jensen lehrt Geschichte an der TU Berlin und forscht am dortigen Zentrum für Antisemitismusforschung, dessen stellvertretender Direktor er auch ist. Seinen Vortrag „Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik. Der antisemitische Doppelmord an Shlomo Lewin und Frida Poeschke“ hat er am 23. November 2023 gehalten.
Der Vortrag war Teil der Vortragreihe „Mehr als eine Randnotiz. Die extreme Rechte in der deutschen Gesellschaft nach 1945“. Veranstaltet hat die das Zentrum für Weiterbildung der Universität Hamburg und die Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg in Kooperation mit der Hamburger Landeszentrale für politische Bildung und der Stiftung Hamburger Gedenkstätten und Lernorte zur Erinnerung an die Opfer der NS-Verbrechen.
- Uffa Jensen: Ein antisemitischer Doppelmord. Die vergessene Geschichte des Rechtsterrorismus in der Bundesrepublik, Suhrkamp 2022