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Unser Rechtsstaat dient der Begrenzung staatlicher Macht. Der Begriff wird jedoch aktuell umgedeutet – im Sinne eines starken Staates, der hart durchgreift. Ein Vortrag des Rechtswissenschaftlers Maximilian Pichl über die Folgen dieser Umdeutung.

Ein Rechtsstaat ist ein Staat, der die Grundrechte seiner Bürgerinnen und Bürger achtet. Ein Staat, in dem alle an die gleichen Gesetze gebunden sind – auch die Organe des Staates. Der Rechtsstaat zielt also auf die Begrenzung staatlicher Macht.

Wenn aber im Moment in der öffentlichen Debatte vom Rechtsstaat die Rede ist, ist mit dem Begriff häufig etwas ganz anderes gemeint, sagt der Jurist Maximilian Pichl. In seinem Vortrag beschreibt er, wie der Begriff umgedeutet wird.

"Der Rechtsstaat ist in eine Vertrauenskrise geraten, sagt Christian Lindner. Er meint damit aber nicht die Grundrechte, sondern das Vertrauen der Menschen, dass Flüchtlinge schnell abgeschoben werden."
Maximilian Pichl, Rechts- und Sozialwissenschaftler

Der Begriff Rechtsstaat wird seit einigen Jahren im Sinne eines Law-and-Order-Staates verwendet, sagt Maximilian Pichl. Also im Sinne eines Staates, der mit drastischen polizeilichen Mitteln gegen Kriminalität vorgeht.

Diese diskursive Umdeutung des Rechtsstaates hat auch reale Auswirkungen, so der Jurist. Zum Beispiel wirke sie auf mehr Abschiebungen und weniger Sensibilität für die Grundrechte hin.

Rechtsstaat als Law-and-Order-Staat?

Insbesondere in der Asyl- und Migrationspolitik, in der Kriminalitätspolitik und im Umgang mit der Klimabewegung ist diese ordnungspolitische Umdeutung des Rechtsstaatsbegriffs zu beobachten, sagt Maximilian Pichl.

Außerdem zeigten die Debatten ums Bürgergeld und das Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG), wie auch in der Sozialpolitik ein Law-and-Order-Denken an Bedeutung gewinne. Denn sozialpolitische Leistungskürzungen würden immer mehr als strafrechtliches Instrumentarium verwendet.

"Wir haben eine Begriffsverschiebung des Rechtsstaates hin zu einem Law-and-Order-Denken. Das hat reale Auswirkungen auf mehr Abschiebungen, auf weniger Sensibilität in Gerichten für die Grundrechte."
Maximilian Pichl, Rechts- und Sozialwissenschaftler

Journalistinnen und Journalisten übernehmen die neue Begriffsverwendung teilweise unkritisch, sagt Maximilian Pichl. In seinem Vortrag erklärt er, warum hinter der Begriffsumdeutung teilweise auch eine bewusste Strategie steckt.

"Ein Problem unserer Zeit besteht darin, dass viele soziale Fragen in sicherheitsbehördliche Fragen umgewandelt werden."
Maximilian Pichl, Rechts- und Sozialwissenschaftler

Maximilian Pichl ist Rechts- und Sozialwissenschaftler und Professor für Soziales Recht an der Hochschule Rhein-Main. Sein Buch "Law statt Order. Der Kampf um den Rechtsstaat" ist 2024 bei Suhrkamp erschienen.

Seinen gleichnamigen Vortrag hat er am 29. Oktober 2024 an der Uni Kassel gehalten. Veranstaltet wurde der Vortrag von der Professur für Politische Theorie. Der Beitrag spiegelt die Ansichten des Vortragenden wider.

Shownotes
Rechtswissenschaft
Wie der Begriff "Rechtsstaat" instrumentalisiert wird
vom 29. November 2024
Moderation: 
Nina Bust-Bartels
Vortragender: 
Maximilian Pichl, Rechtswissenschaftler an der Hochschule RheinMain