Alles nur Spinner und wirre Verschwörungstheoretiker? Wir sollten die Reichsbürgerbewegung nicht unterschätzen. Warum, erklären Tobias Ginsburg und Jan Rathje in ihren Vorträgen.
Reichsbürger glauben alle an dieselbe Verschwörungserzählung: Sie leugnen die Existenz der Bundesrepublik Deutschland und glauben, dass das deutsche Reich in seinen Grenzen von 1937 weiterbesteht. Das deutsche Volk werde von einer riesigen Weltverschwörung unterdrückt. Tobias Ginsburg recherchierte undercover in der Reichsbürgerszene. "Die Leute, die ich dort traf, reichten über das gesamte Spektrum, das könnten ihre Nachbarn, ihr Zahnarzt oder ihre Chefin sein, bis hin zu Leuten, die jetzt für die AfD im Bundestag sitzen."
Verfassungsschutz: 23.000 Menschen in Reichsbürgerszene
23.000 Menschen sind laut Verfassungsschutz Teil des Reichsbürgermilieus, davon seien etwa 1.250 rechtsextrem. Die Unterscheidung zwischen Rechtsextremen und Reichsbürgern ist jedoch nicht sinnvoll, sagt Tobias Ginsburg. Denn die Verschwöhrungsideologie der Reichsbürger beziehe sich auf rechtsextreme Narrative, die bereits seit 1945 bestehen.
"Wir haben ein Problem mit rechtsextremer Verschwörungsideologie. Was wir jetzt erleben, ist die konsequente Umsetzung dieses Verschwörungsglaubens."
Die Machtressourcen der Bewegung
Der zweite Vortrag in diesem Hörsaal ist von Jan Rathje, er ist Politikwissenschaftler am Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS) in Berlin. Jan Rathje sieht Gewalt als einen integralen Bestandteil der Ideologie von Reichsbürgern. Durch die überzeichneten Opfernarrative sei es leicht, Gewalt zu rechtfertigen.
Zudem sind die Mitglieder gut vernetzt und besitzen Machtressourcen, sagt der Politikwissenschaftler. Das habe sich auch bei den Putschplänen der Reichsbürgergruppe um Heinrich XIII. Prinz Reuß gezeigt. In seinem Vortrag erklärt Jan Rathje, warum insbesondere der Kontakt zu ehemaligen Soldaten und Polizisten besorgniserregend ist.
"Gewalt ist integraler Bestandteil der Ideologie von Reichsbürgern."
Reichsbürger bauen zudem Parallelstrukturen zu demokratisch legitimierten Institutionen auf, sagt der Politikwissenschaftler. Der Reichsbürger Peter Fitzek gründete beispielsweise eine Pseudo-Krankenkasse. Durch diese Parallelstrukturen sinken neue Mitglieder schneller ein ins Reichsbürgermilieu, erklärt Jan Rathje. Denn es gebe dann im Alltag weniger Reibungsflächen mit Leuten, die die Dinge anders sehen.
Der Vortrag von Tobias Ginsburg heißt "Undercover unter Reichsbürgern" und Jan Rathje hat seinen Vortrag "Die Reichsbürgerbewegung und ihre Gefahren für Staat und Zivilgesellschaft" überschrieben. Die beiden haben ihre Vorträge am 20. September 2023 bei einer Tagung der Bundeszentrale für Politische Bildung mit dem Titel "Reichsbürger – Handlungsfelder und Grenzen einer demokratiefeindlichen Bewegung" gehalten.