Manche Youtube-Channels bestehen nur aus Reaction-Videos. Darin reagieren Menschen auf etwas, was sie zum ersten Mal sehen – und das kommt gut bei den Followern an. Möglicherweise entwickelt sich daraus auch eine neue Form der Kritik, weil wir uns so mit populären Werken auseinandersetzen.
- Wie reagiert jemand, der zum ersten Mal "In the Air tonight" von Phil Collins hört?
- Wie sind die Reaktionen auf die lustigsten Antworten auf Testfragen von Kindern?
- Was passiert, wenn sich jemand die schrägsten Suchanfragen im Netz anschaut?
Da sind nur ganz wenige Beispiele der Reactions-Videos, die auf Youtube gefeiert werden und dort massenhaft zu finden sind. Sie sind sehr beliebt, das zeigt sich an den hohen Abrufzahlen.
Bedient unseren Voyeurismus
Dabei zuzusehen, wie jemand auf etwas reagiert, habe einerseits etwas Voyeuristisches, andererseits etwas Verbindendes, sagt die Medienwissenschaftlerin Annekathrin Kohout. Wir können die Emotionen nachfühlen, wenn wir die Reaktion dieser Menschen beobachten.
"Diese Reaktionen dürfen auch gerne ein bisschen affektiert, künstlich oder überzogen sein. Es muss aber schon bis zu einem gewissen Grad authentisch bleiben."
Reaktionen auf einen 40 Jahre alten Song
Auch etwas Irritierendes könnte eine Reaktion sein, sagt Annekathrin Kohout. Zum Beispiel ist es in Deutschland kaum vorstellbar, dass es Menschen gibt, die "In the Air tonight" von Phil Collins aus dem Jahr 1981 noch nie gehört haben.
Somit hat es etwas Faszinierendes, jemandem dabei zu zuschauen, wenn dieser den Song jetzt zum ersten Mal hört. Dieses Reaction-Video ist bislang knapp neun Millionen Mal angeschaut worden.
Reaction Video – funktionieren ähnliche wie 'Lacher vom Band'
Ähnliche wie die "Lachkonserven", also die Lacher vom Band wie man sie aus US-amerikanischen Soap Operas aus dem Fernsehen kennt, funktionieren die Reaction-Videos, sagt die Medienwissenschaftlerin. Sie wirken ansteckend und regen uns zum Mitlachen oder Mitfühlen an.
Das Reizvolle ist aber, gemeinsam mit dem Reagierenden diesen Moment zu erleben, ein Werk zu sehen oder ein Musikstück zu hören. Darin stecke die große Attraktivität dieser Videos, sagt die Annekathrin Kohout.
"Ich glaube auch wirklich, dass diese Videos durchaus folgenreich sind, also für die Popularität des Werks, was darin gezeigt wird."
Reaction-Videos haben das Potenzial, sich zu einer neuen Kritikform zu entwicklen, sagt Annekathrin Kohout. Denn solche Formate, die vor allem in den sozialen Medien vorkommen, tragen immer mehr zur Urteils- und Meinungsbildung bei. In den sozialen Medien zeige sich der Trend, dass das populär werde, was emotionalisiere.
Reaction-Videos als neue Kritikform
Die klassische Kritik des vergangenen Jahrhunderts ging bei der Beurteilung eines Werks meist auf Distanz. Hier zeige sich ein Wandel, sagt Annekathrin Kohout.
Auch für Kunstwerke gebe es neue Kriterien, sagt die Medienwissenschaftlerin, und zwar, dass sie uns vor allem berührten und somit diese Distanz möglicherweise auflösen, die lange Zeit gültig war und als wichtig erachtet wurde.