Manche von uns suchen den Rausch und Kontrollverlust, um eine Pause vom Alltag zu haben. Für Nadine macht das einmal im Jahr und erklärt, warum. Rüdiger Schmolke arbeitet seit 30 Jahren in der Drogenhilfe und sagt, was Safer Use eigentlich bedeutet.
Die Musik ist laut, die bunten Lichter hüllen die Bäume in neue Farben ein, alle tanzen – und Nadine geht es gut. Wenn sie auf einem Festival ist, ist das eine Pause von ihrem Alltag. Gedanken über Aufgaben, Erledigungen, irgendwelche To-dos braucht sie sich hier nicht machen. An diesem Ort, in diesem Moment gibt es nur die Musik und die Menschen um sie herum.
Für Nadine ist dieses Festivalerlebnis ein "schönes Abschalten". In diesem Rahmen konsumiert sie auch chemische Drogen. Früher öfter, heute etwa einmal im Jahr. Dadurch verlässt sie ihr Alltags-Gedankenkarussell, sagt sie.
Aus dem Alltag ausbrechen
Warum suchen wir diesen Rauschzustand? Soziologin Yvonne Niekrenz hat dazu promoviert. Sie sagt: Der Rausch kann für uns ein Mittel sein, sich den Zwängen des Alltäglichen für einen kurzen Moment zu entziehen. In diesem Moment können wir die Anspannung, die sich im Alltagsstress anstauen kann, loslassen. Zumindest ein Stückweit.
"Warum suchen wir solche Rauschzustände? Eben genau, um den Zwängen des Alltäglichen, des immer Wiederkehrenden für einen kurzen Moment zumindest zu entkommen."
Yvonne Niekrenz platziert den Rausch damit auch klar außerhalb unserer täglichen Abläufe. "Rausch gehört in die Außeralltäglichkeit", sagt sie. Für das Berauschtsein gibt es gesellschaftlich gesehen auch bestimmte Orte und Zeiträume, in denen es gedudelt wird, so die Soziologin.
In einem Fußballstadion oder zu Festzeiten wie an Karneval zum Beispiel akzeptieren wir den Rauschzustand von anderen und uns selbst eher. Unser Alltag dagegen unterliegt gewissen Regeln. Die zu beachten gibt uns als Gesellschaft eine Rahmen für den Umgang miteinander.
Genuss oder Zwang?
Das bedeutet: Der Rausch ist etwas Außergewöhnliches, was wir nicht jeden Tag erleben. Hier geht es um die Abgrenzung zur Sucht. Die Soziologin unterscheidet dabei in dem Drang, diesen Zustand des Enthemmtseins wiederholen zu wollen, und ihn im Zwang zu wiederholen. "Eine süchtige Person kann sich eben nicht aussuchen: Heute Abend trinke ich gepflegt ein Glas Rotwein. Sondern da steht ein Zwang dahinter", erklärt sie.
Bei der Frage, ob der eigene Konsum problematisch sein könnte, helfen auch Drogenberatungsstellen. Ihr Angebot können also alle in Anspruch nehmen, unabhängig davon, ob jemand eine Abhängigkeit entwickelt hat oder nicht.
Ein Gespräch bei einer Drogenberatungsstelle kann auch helfen, Freund*innen oder Bekannte zu unterstützen, bei denen wir beobachten, dass der Konsum zum Zwang wird. Dabei sollte aber wirklich die Unterstützung im Vordergrund stehen und nicht eine moralische Belehrung, sagt Sozial- und Gesundheitswissenschaftler Rüdiger Schmolke. Als Referent für Bildung und Prävention beim Notdienst Berlin e.V. beschäftigt er sich auch mit dem Thema Kontrollverlust und Rausch.
Informieren und vorbereiten
Er sagt: Ein kompletter Kontrollverlust ist für die meisten gar nicht das Ziel, wenn sie eine Form der Droge einnehmen. Es gehe vielmehr um einen kontrollierten Kontrollverlust. Das ist eine Gratwanderung, so Rüdiger Schmolke, "weil es natürlich auch risikoreich ist, wenn ich die Kontrolle total abgebe. Da muss ich sehr darauf achten: Wo bin ich? Mit wem bin ich da? Ist es dort auch sicher?"
"Es ist ganz wichtig zu verstehen, dass sich niemand berauschen will oder Substanzen nimmt, um am Ende nur die negativen Folgen zu haben. Erstmal geht es darum, Lust zu empfinden."
Jeder Konsum hat ein Risiko und wirkt sich auf unseren Körper aus. Am Ende bleibt es eine Abwägungssache. Anders ausgedrückt: Komplette Sicherheit gibt es keine. Wir können uns ihr aber annähern, indem wir uns beim Nachdenken über das Konsumieren beispielsweise fragen: Wie geht es mir? Kann ich das handeln, was da gleich passieren wir? Weiß ich, was zu tun ist, wenn es mir währenddessen nicht gut geht?
"Es kommt auch extrem auf die Umgebung an. Habe ich eine sichere Umgebung? Ist es flauschig um mich herum? Planen und informieren steht an erster Stelle", so Rüdiger Schmolke.
Zu so einem Plan, sagt er, sollte zum Beispiel gehören, niemals alleine loszuziehen, sondern immer mit vertrauten Personen. Es gehe darum, sich einen Safe Space zu erschaffen. Mit Freund*innen könne beispielsweise verabredet werden, einmal in der Stunde gegenseitig zu fragen, wie es einem geht.
Solche Bedingungen sind auch für Nadine entscheidend, wenn sie konsumiert. Bei ihr gibt es eine Vor- und Nachbereitung von einem Trip. Das bedeutet: Bevor sie etwas nimmt, fragt sie sich zum Beispiel: "Mache ich das wirklich, weil ich Spaß mit meinen Freunden haben will? Oder mach ich das, weil ich eigentlich vor irgendetwas wegrenne?" Mit Drogen schlechte Gefühle zu kompensieren, ist keine gute Ausgangslage, sagt Nadine.
"Wenn man das nicht auf einen Moment zentriert, sondern immer wieder diese schöne Erfahrung erzeugen will, dann wird es irgendwann wirklich toxisch."
Sie findet es wichtig, mehr aufzuklären. Über den Konsum und die Risiken. Nadine kennt die Risiken und wägt diese für sich ab. Niemand, sagt sie, sollte auf ein falsches Bild von "chemischem Glück" reinfallen.
"Wenn man im Alltag ständig unter Strom steht und das Gefühl hat, man muss die Kontrolle wahren, sind ab und zu mal so Momente, wo man ein bisschen der Realität entfleucht, besonders schön."
Im Podcast erfahrt ihr noch mehr über die Vor- und Nachbereitung, die Nadine trifft. Und Rüdiger Schmolke nennt weitere wichtige Hinweise für den sicheren Umgang mit Drogen und erklärt, dass Rausch nicht immer etwas mit Drogen zu tun hat. Klickt dafür oben auf den Play-Button.
Disclaimer: Wir wollen darauf hinweisen, dass jeder Rausch auch Auswirkungen auf deinen Körper und deine Psyche habe kann. Solltest du selbst oder Menschen in deinem Umfeld Sorge davor haben oder betroffen sein, findest du hier Hilfsangebote.
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