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Geschichte

Radiophobie: Wie die Angst vor Strahlung politisch genutzt wird

Kaum eine Technologie ist so umstritten, wie die Atomkraft. Wie gefährlich ist radioaktive Strahlung? Welche Bedeutung hat die Angst vor dieser Strahlung? Und wie wirkt sich Atomkraft auf die Demokratie aus? Diese Fragen wurden auf dem Historikertag 2021 diskutiert.

Ende dieses Jahres gehen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz. Dann ist der Atomausstieg vollzogen. Angesichts der einflussreichen Atomwirtschaft ist der Ausstieg aus der Kernenergie eine beachtliche Leistung unserer Demokratie, sagt Frank Uekötter. Er ist Historiker an der University of Birmingham.

Der Nutzen des Atomkonsenses für die Demokratiegeschichte

In seinem Vortrag beschreibt Frank Uekötter, welchen nutzen der Atomkonsens für die Demokratiegeschichte hat. Und er plädiert dafür, dass die Geschichtswissenschaft ihre Erkenntnisse stärker in größere politische Kontexte einbetten soll.

"Es ging bei der Atomkraft auch um die Macht von Großunternehmen, wie Siemens, RWE und Veba, um Investitionen und Arbeitsplätze, um Krisenmanagement und politische Opportunitäten und auch um die billige Energie, die eine unverzichtbare Grundlage der deutschen Wohlstandsgesellschaft war."
Frank Uekötter, Historiker

Der zweite Vortrag in diesem Hörsaal kommt von Karena Kalmbach. Die Historikerin beschreibt, wie Radiophobie, also die Angst vor radioaktiver Strahlung, von Atomkraftbefürwortern politisch genutzt wurde. Insbesondere nach der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl 1986 hätten Befürworter der Technologie darauf verwiesen, dass die gesundheitlichen Folgen der Menschen um Tschernobyl von einer Angst vor Strahlung kommen würden und nicht von der Strahlung selbst.

"Es gibt unterschiedliche Wechselbeziehungen zwischen Angst und Technik, aber wir sind sehr gewöhnt, in Technologiediskursen nur die Angst vor Technik zu beforschen."
Karena Kalmbach, Historikerin

Auch die Menschen in dem kleinen Ort Gorleben in Niedersachsen politisierten die Angst vor Strahlung, jedoch mit umgekehrten Vorzeichen. Der Salzstock in Gorleben war 1977 als Endlager für Atommüll ausgewählt worden, was zu jahrzehntelangen Protesten führte. Wie auch Klima-Aktivistinnen heute verwiesen die Anti-Atomproteste auf die Rechte künftiger Generationen, sagt Astrid Mignon Kirchhof.

Sie ist Historikerin an der Humboldt Universität zu Berlin. In ihrem Vortrag beschreibt sie, wie die Angst vor toxischer Belastung zum Motor des Widerstands wurde.

"Die Verantwortung für zukünftige Generationen liegt in den Händen dieser Generation, weil Natur, Umwelt und Nachhaltigkeit nicht nur eine Frage des Raumes, sondern auch ein zeitlicher Prozess sind."
Astrid Mignon Kirchhof, Historikerin

Die Vorträge

Die Vorträge in diesem Hörsaal heißen: "Atome für die Zeitgeschichte. Vom Nutzen und Sinn der Kernenergie für die Demokratiegeschichte" von Frank Uekötter, "Radiophobie: Zur Transnationalität eines pro-atomaren Arguments" von Karena Kalmbach und "Toxische Zeit-Räume: Der Kampf um das westdeutsche Endlager in den 1970ern" von Astrid Mignon Kirchhof. Die Rednerinnen haben sie auf dem Deutschen Historikertag 2021 in der Sektion "Von Deutungen und Umdeutungen – Atomtechnologie zwischen Erlösung und Apokalypse" gehalten.

Shownotes
Geschichte
Radiophobie: Wie die Angst vor Strahlung politisch genutzt wird
vom 14. Januar 2022
Moderation: 
Nina Bust-Bartels
Vortragender: 
Frank Uekötter, University of Birmingham
Vortragende: 
Karena Kalmbach, Technische Universität Eindhoven
Vortragende: 
Astrid Mignon Kirchhof, Humboldt Universität zu Berlin