In Deutschland sind über 100.000 Menschen querschnittsgelähmt. Viele geben sich nicht so einfach mit ihrem Schicksal ab und versuchen immer neue Therapien. So wie Krisztina. Sie ist die erste Probandin einer Therapie mit Elektrostimulation im Wasser.
Krisztina sitzt am Beckenrand eines kleinen Berliner Schwimmbades. Ihr Oberkörper ist voller Kabel und Elektroden. Sie ist Anfang 30 und, seit ein Tumor vor zwei Jahren ihre Nervenbahnen im Rückenmark durchtrennte, querschnittsgelähmt.
Ihren Traum, irgendwann wieder laufen zu können, gibt Krisztina so schnell nicht auf. Deshalb ist sie die erste Probandin einer einzigartigen Therapie: Elektrostimulation im Wasser.
Künstliche Muskelstimulation
Das Forschungsprojekt wird von Constantin Wiesener und Thomas Schauer von der Technischen Universität Berlin geleitet. Grundsätzlich ist die Elektrostimulation keine neue Idee und es wird seit einigen Jahren hierzu geforscht. Die Grundidee: Auf die Beine werden Elektroden geklebt. Mit kleinen elektrischen Impulsen werden die Nerven gereizt, die die Muskeln versorgen. Das führt zu einer Muskelkontraktion, erklärt Thomas Schauer.
"Die Grundidee ist, dass man die gelähmten Muskeln künstlich aktivieren kann und dass man eben Elektroden auf die Beine klebt und mit kleinen elektrischen Impulsen die Nerven reizt, die die Muskeln dann versorgen. Das führt dann zur Muskelkontraktion."
Schickt man die elektrischen Impulse im richtigen Rhythmus an die Nerven, kann eine sinnvolle Muskelbewegung entstehen. Bei gesunden Menschen schickt das Gehirn diese Impulse. Das geht bei einer Querschnittslähmung nicht mehr. Durch die Elektrostimulation werden die Muskeln also künstlich aktiviert.
Wasser als Wohlfühl-Ort
Eine Elektrostimulation im Wasser - das ist allerdings neu. Thomas Schauer erzählt, dass viele Patienten das Wasser lieben, da sie sich dort zumindest gefühlt eigenständig bewegen können und weniger Kraft für die Bewegung aufbringen müssen. An einem Ort zu üben, an dem man sich wohlfühlt, ist vor allem für die Psyche der Patientinnen sehr wichtig.
"Viele Patienten lieben Wasser. Sie fühlen sich dort frei, sie können sich gefühlt eigenständig bewegen. Und ich glaube, das ist auch psychologisch ziemlich wichtig, dass man das Üben in einer Umgebung macht, in der man sich wohlfühlt."
Ein kleiner, weißer Kran aus Plastik hebt Krisztina ins Wasser. An ihrem Rücken klebt eine kleine Box, das Stimulationsgerät. An ihren Beinen werden Elektroden befestigt.
Mit einer sogenannten Schwimmnudel wird Krisztina über Wasser gehalten. Eine studentische Hilfskraft gibt ihr zusätzlich Halt.
40 Milliampere werden jetzt durch Krisztinas Körper gepumpt. Gesunde Menschen würden das vor Schmerzen kaum aushalten. Für Krisztina fühlt es sich allerdings wie ein angenehmes Kribbeln an. Sie ist einfach nur froh, überhaupt etwas zu spüren, sagt sie.
"Das ist sogar sehr angenehm. Ich habe immer Gänsehaut, wenn man die Stimulation startet. Ich kann nicht erzählen warum, aber das fühle ich durch den ganzen Körper. Dann fühle ich mindestens was."
Dann geht die Übungsstunde los.
Schritt für Schritt durchs Wasser
Krisztinas Beine sind leicht eingeknickt. Mit ihren Gummischuhen berührt sie den Boden. Ganz langsam, aber zielstrebig setzt sie den linken Fuß vor den Rechten und stößt sich in kleinen Schritten vorwärts. Constantin Wiesener feuert sie laut an und erinnert sie immer wieder daran, sich so weit wie möglich zu strecken.
Für Krisztina sind diese kleinen Übungseinheiten sehr anstrengend. Auch, wenn es den Anschein erwirkt, dass nichts passiert – eine gelähmte Muskulatur bewegen zu wollen, kann einen nach fünf Minuten ins Schwitzen bringen, erzählt sie.
"Das ist sehr schwierig. Also gelähmte Muskulatur versuchen zu bewegen - wenn überhaupt nichts passiert - da kann man auch schwitzen und sehr müde sein. Also nach fünf Minuten auch."
Das letzte Mal hat Krisztina fünf Bahnen geschafft, deutlich mehr als in den Stunden zuvor. In dieser Übungsstunde sollen es mindestens sechs werden. Auch, wenn Krisztina große Fortschritte macht und immer sicherer beim Gehen im Wasser wird – es ist trotzdem nur ein kleiner Hoffnungsschimmer.
Keine Garantie auf Heilung
Eine Heilung können Constantin und Thomas nicht versprechen. Auch für sie ist die Therapie Neuland und eine Studie mit einem noch unbekannten Ergebnis, sagt Constantin.
"Wir müssen klar sagen, wir versprechen ihnen keine Heilung. Das machen wir ganz klar am Anfang, dass es ein offenes Ergebnis hat, diese ganze Studie."
Dennoch ist es das Ziel von Constantin Wiesener und Thomas Schauer diese Technologie nach der Pilotphase langfristig verfügbar zu machen. Bis es so weit ist, werden aber noch einige Jahre vergehen müssen.