Therapieplätze sind knapp - und das nicht erst seit der Pandemie. In Deutschland gibt es nun erstmals ein Erste-Hilfe-Programm für psychische Notfälle - mit dem jeder zur Ersthelferin ausgebildet werden kann.
Wer psychisch erkrankt, etwa an einer Depression oder einer Angststörung, muss oft monatelang auf einen Therapieplatz warten. Eine Lösung bis dahin könnten Erste-Hilfe-Kurse für mentale Gesundheit sein.
"Mental Health First Aid"-Programm in Deutschland angekommen
Das Konzept ist im Jahr 2000 in Australien entstanden. Es orientiert sich an den Erste-Hilfe-Kursen, die zum Beispiel auch im Rahmen des Führerscheins absolviert werden müssen - aber eben nicht für körperliche, sondern für seelische Leiden. Das "Mental Health First Aid"-Programm (MHFA) hat sich in vielen Ländern schon etabliert und ist seit November 2020 auch in Deutschland angekommen.
"Im Programm werden Ersthelfer und Ersthelferinnen für psychische Erkrankungen ausgebildet - sie lernen, wie sie Personen mit psychischen Gesundheitsproblemen unterstützen können, bis professionelle Hilfe verfügbar ist."
In zwölf Kursstunden und vier Modulen wird den Teilnehmenden ein Basiswissen über die verschiedenen psychischen Störungen vermittelt, und sie lernen Symptome zu erkennen, erklärt Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Rahel Klein.
Die richtigen Worte finden
Im Kurs geht es aber vor allem darum, in einem Ernstfall die richtigen Worte zu finden und die richtigen Fragen an den Betroffenen zu stellen. Denn dabei ist Feingefühl gefragt, und oft wissen Angehörige, Freunde und Bekannte nicht, wie sie sensible Themen gut ansprechen können.
"Wir raten den Ersthelfenden, in Ich-Botschaften und einer Beobachtung auf den Betroffenen zuzugehen. Also zum Beispiel: Ich mache mir Sorgen um dich, weil ich beobachte, dass du ängstlich wirkst."
Michael Deuschle, Oberarzt am Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim und Co-Leiter des MHFA-Programms in Deutschland, rät den Ersthelfenden: Besorgniserregende Beobachtungen in Ich-Botschaften vermitteln. In den Kursen geht es vor allem darum, einen frühzeitigen Gesprächseinstieg zu finden und die Scheu vor einem solchen Gespräch zu verlieren - denn das ist häufig ein Grund, warum Hilfe zu spät kommt.
"Der Ersthelfer soll weder Diagnosen stellen noch behandeln - sondern den Betroffenen ermutigen, professionelle Hilfe aufzusuchen."
Wichtig in diesem Zusammenhang: Die Erste Hilfe ersetzt auch bei seelischen Leiden nicht die professionelle Therapie. Ein Ersthelfer soll viel eher weiterleiten. In dem Kurs lernen sie, wo es Hilfsangebote gibt, an welche Stellen Betroffene sich wenden können oder wie sie sie zu den Hilfsangeboten begleiten können, erklärt Rahel Klein.
Frühzeitig Unterstützung suchen
Bei der Ersten Hilfe gibt es klare Grenzen. Trotzdem kann sie wichtig sein, damit sich die/der Betroffene frühzeitig um professionelle Hilfe bemüht, denn das kann Monate oder Jahre dauern. Je nachdem wie hoch die Dichte der Therapierenden vor Ort ist. In Städten wie Berlin kommen auf 100.000 Einwohner 72, in Sachsen-Anhalt sind es dagegen nur 22.
"Jede und jeder kann sich im Erste-Hilfe-Kurs ausbilden lassen und lernen, Betroffene richtig anzusprechen."
Bisher lassen sich oft Angehörige oder Freundinnen oder Freunde von Betroffenen ausbilden, die für das Thema bereits sensibilisiert sind, sagt Rahel Klein. Doch grundsätzlich steht es jedem offen, an einem Erste-Hilfe-Kurs für psychische Gesundheit teilzunehmen. In Deutschland gibt es rund 100 Instruktorinnen und Instruktoren, die einen solchen Kurs anbieten. Der Preis wird von ihnen selbst bestimmt, doch das Zentralinstitut für seelische Gesundheit in Mannheim schlägt etwa 200 Euro vor, um die Kosten für den Kurs zu decken.
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