Mit nur einem Satz hat Angela Merkel die ganze Welt in Aufruhr versetzt. Das muss man können. Wir analysieren, worauf es bei der richtigen Wortwahl ankommt.
Deutschland und die Welt diskutieren. Über die Beziehung der USA zu Europa und die zukünftige Bedeutung der transatlantischen Beziehungen. Aufhänger ist folgende Aussage, die Angela Merkel am vergangenen Sonntag in einem Bierzelt auf einer Veranstaltung von CDU und CSU geäußert hatte:
"Die Zeiten, in denen wir uns auf andere völlig verlassen konnten, die sind ein Stück vorbei. Das habe ich in den letzten Tagen erlebt. Und deshalb kann ich nur sagen: Wir Europäer müssen unser Schicksal wirklich in unsere eigene Hand nehmen."
Treffer? Versenkt! Für viele der Abgesang auf den Führungsanspruch der USA, und gleichzeitig die Ansage Deutschlands und Europas diesen Posten neu besetzen zu wollen. Und die Interpretationsspirale bekommt jeden Tag neue Nahrung und zieht immer weitere Kreise.
Politikersprache ist zum Tricksen da
Egal ob Außenminister Sigmar Gabriel, SPD-Kanzlerkandidat Martin Schulz oder US-Präsident Donald Trump selbst. Alle gießen ständig neue Äußerungen ins verbale Strohfeuer.
Formell gesehen ist der Satz von Angela Merkel zwar ziemlich harmlos, sagt der Linguist Steffen Pappert. Und doch steckt darin seiner Meinung nach etwas Trickreiches, denn in dem Satz stehen Relativierungen wie "ein Stück weit vorbei" auf der einen Seite und mit "wirklich in die Hand nehmen" deutlicher Nachdruck auf der anderen. So hält sich Angela Merkel geschickt eine Hintertür offen.
"Das ist rhetorisch ziemlich geschickt, weil Ausweichen immer möglich ist!"
Und auch heute hat Angela Merkel ihre Freude für das gehobene politische Sprachspiel weiter ausgelebt. In Berlin hat sie den indischen Premierminister Narendra Modi getroffen und Folgendes gesagt:
"Wir sind eine globale Welt und Indien mit seinen 1,25 Milliarden Einwohnern ist ein Partner, an dessen guter Entwicklung wir umfassend interessiert sind!"
Im Kontext der zurückliegenden Tage gesehen, wirkt diese Aussage Merkels ziemlich klar und eindeutig. Für den Linguisten Steffen Pappert sind die Formulierungen "gute Entwicklung" und "umfassend interessiert" überhaupt nicht mehr ambivalent, sondern beide mit einer klaren Botschaft besetzt.
Auch die Tatsache, Indien gerade jetzt explizit als "Partner" zu bezeichnen, ist für den Sprachwissenschaftler Pappert kein Ausrutscher. So etwas gehört seiner Meinung nach ganz klar zu den Inszenierungspraktiken der Politik.