In unserer Themenwoche Heimat haben wir eine Woche lang eine Antwort auf die Frage gesucht, was Menschen als Heimat empfinden. Gar nicht so einfach, denn Heimat ist zwar fast allen wichtig und wird sehr emotional diskutiert, kann aber offenbar für jeden etwas anderes bedeuten. Weiß die Philosophie eine Antwort?
Heimat ist für viele so wichtig, meint der Kölner Philosoph Matthias Burchardt, weil wir Menschen nicht nur isolierte Individuen sind, sondern immer auch soziale Wesen und Wesen in der Welt. Es ist eben nicht egal, wo wir uns aufhalten. Vielmehr werde der Ort an dem wir uns aufhalten ein Teil unserer Identität.
"Wir sind die Orte, an denen wir leben. Wir sind die Menschen, mit denen wir zu tun haben."
Heimat bedeutet für Burchardt auch Vertrautheit und Selbstverständlichkeit: Gerüche, Töne, Sprache, Orte, Menschen zum Beispiel.
Unsere Heimat ist ein Teil von uns
Aus dieser Selbstverständlichkeit ziehen wir Kraft, meint er. Heimat werde so zu einem Teil von uns, den wir nicht verlieren wollen. Deshalb fühle sich Heimweh auch so an, als würde uns etwas entrissen.
Dass unser Reporter Christian Schmitt während unserer Themenwoche Heimat auch viele Menschen getroffen hat, die gar nicht genau benennen konnten, was Heimat für sie ist, überrascht ihn nicht. Heimat zu definieren falle jedem schwer, weil Heimat kein Gegenstand sei, sondern ein Medium oder Element:
"Was das Wasser ist, versteht der Fisch erst, wenn er an Land ist."
Und was ist für ihn persönlich Heimat? Matthias Burchardt nennt zwei: das Ruhrgebiet, wo er geboren ist, und seine Wahlheimat, das Rheinland. Er hält es für durchaus möglich, dass wir mehrere Heimaten haben. Seiner Ansicht nach spielen die jeweils andere Rollen für unsere Identitätsbildung, die nicht austauschbar sind. Eine Heimat ist aber immer entscheidend, glaubt er, und beliebig viele können es seiner Ansicht nach auch nicht sein: Es gebe vielleicht mehrere Orte, an denen wir uns wohl fühlen und gut funktionieren, interessant sei am Ende aber die Frage: "Wo möchte ich eigentlich beerdigt werden?"
Heimat als Politikum
Heimat ist zudem ein politischer Begriff. Sie wird für den Stimmenfang von Politikern sowohl beschworen als auch diffamiert, kritisiert der Kölner Philosoph. Oft wird der Begriff dabei mit dem Thema Abgrenzung verbunden.
Burchardt weist aber darauf hin, dass nicht jeder, der von Heimat spricht, andere damit ausgrenzen will, sondern möglicherweise nur deutlich macht, dass er das, was ihm bedeutsam ist, nicht ohne weiteres preisgegeben will. So kann er zum Beispiel nachvollziehen, wenn alte Menschen angesichts zunehmender Anglizismen im Alltag ein Gefühl des Heimatverlusts haben und daraus einen politischen Auftrag formulieren.
"Wir dürfen den politischen Auftrag nicht den Extremisten überlassen, sondern müssen sehen, dass die politische Mitte auch anerkennt, dass die Menschen solche Bedürfnisse haben."
Der Begriff Heimat ist auch mit wirtschaftlichen Interessen verknüpft, ergänzt Matthias Burchardt. So profitiere das Konzept eines Arbeitslebens, das auf Mobilität und auf flexible Menschen setze, von absoluter Bindungslosigkeit und steter Verfügbarkeit. "Aber das geht mit Menschen eben leider nicht." Seiner Ansicht nach gibt es eine Verantwortung der Politik dafür, dass wir Lebensverhältnisse haben, die uns tragen und schützen.
Den Heimatbegriff differenziert betrachten
Sein Plädoyer: Wir müssen den Heimatbegriff sehr differenziert betrachten: "Nicht jeder, der die Heimat feiert, ist ein Nazi. Und nicht jeder, der die Heimat angreift, ist ein Menschenfreund."
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