Toleranz ist ein zentraler Begriff pluralistischer demokratischer Gesellschaften. Dabei ist gar nicht so klar, was er bedeutet: Den einen gilt Toleranz als Form von Respekt und erstrebenswerte Tugend, den anderen als Gleichgültigkeit oder Schwäche, einigen sogar als eine Form der Unterdrückung. Der Philosoph Rainer Forst erklärt in seinem Vortrag die unterschiedlichen Formen der Toleranz - und ihre Rolle für unser Zusammenleben.
Was ist Toleranz? Ist sie ein Wert? Ist sie gut oder schlecht? Um diese Fragen zu beantworten, geht Rainer Forst, Professor für Politische Theorie und Philosophie an der Universität Frankfurt, ganz analytisch vor.
Für ihn besteht Toleranz zunächst aus drei Komponenten:
- Ablehnung: Tolerieren können wir nur, was wir als falsch oder schlecht empfinden, so Forst. Was wir befürworten, müssten wir ja gar nicht tolerieren. Weil Ablehnung ein essenzieller Punkt ist, kann Toleranz laut Forst auch weder vollständige Bejahung von etwas noch Gleichgültigkeit bedeuten.
- Akzeptanz: Außerdem, so Forst weiter, müssen wir Gründe akzeptieren, aus denen wir etwas tolerieren sollten, obwohl wir es eigentlich ablehnen. Das Grundrecht der Religionsfreiheit könnte beispielsweise ein solcher Grund sein.
- Zurückweisung: Zur Toleranz gehören schließlich auch ihre Grenzen, erklärt Forst. Die müssten stärker wiegen als die Akzeptanz-Gründe und daher objektiver sein. Ein möglicher Grund, etwas zurückzuweisen, statt es zu akzeptieren, könnte etwa die Verletzung von Menschenrechten sein.
Dass es nicht einfach ist, diese Komponenten zu gewichten, liegt auf der Hand. Gerade das Beispiel Religion zeigt, wie schwer das ist: Beschneidungsverbot, Kopftuchverbot, Kruzifix-Debatte – die Konflikte sind zahlreich.
"Für viele Leute endet die Frage der Toleranz schon dort, wo sie glauben, eine Religion sei problematisch. Aber da fängt die Frage der Toleranz erst an."
Toleranz braucht Respekt
Als wäre das nicht schon kompliziert genug, gibt es auch noch unterschiedliche Formen von Toleranz. Rainer Forst greift in seinem Vortrag zwei Konzeptionen heraus:
- Bei der Erlaubnistoleranz liegen alle drei der genannten Komponenten in der Macht einer Autorität, erklärt er. Die Minderheit erhält nur die Erlaubnis, ihren Vorstellungen gemäß zu leben. Dafür muss sie die Autorität aber anerkennen. Die auf diese Weise Tolerierten sind machtlos, nicht gleichberechtigt, so Forst, sondern Bürger zweiter Klasse.
- Ganz anders die Respekttoleranz, in der gleichberechtigte Gruppen einander achten und wechselseitig anerkennen, obwohl sie in zentralen Fragen etwa zur richtigen Lebensführung nicht einer Meinung sind. Nicht eine Autorität oder Mehrheit bestimmt, was toleriert wird und was nicht, sondern gemeinsame Institutionen, die auf Normen aufbauen, die allgemein gerechtfertigt werden.
"Eine bestimmte Kleidung, eine Praxis, eine Überzeugung problematisch zu finden, ist die eine Sache. Zu glauben, man habe ausreichende Gründe sie zu verbieten, ist eine andere Sache."
Für Rainer Forst verbindet diese Respektkonzeption den Begriff Toleranz erst mit wichtigen Prinzipien wie Gerechtigkeit, Freiheit und Demokratie: "Nur dann wird aus der Toleranz etwas Wertvolles". Aber: Die Erlaubnistoleranz sei längst nicht überwunden, mahnt er, und analysiert im weiteren Vortrag eine Reihe von Fällen, die er als sehr kritisch empfindet - ganz aktuell zum Beispiel das Kruzifix-Gesetz in Bayern oder die Entscheidung des Europäischen Menschenrechtsgerichtshofs zum Burka-Verbot.
Der Vortrag von Rainer Forst mit dem Titel "Toleranz und Recht - Zur Dialektik europäischer Freiheiten" wurde am 14. April 2018 im Rahmen des Symposiums "Europäische Werte – ein Dilemma!" aufgezeichnet, das vom Center for Applied European Studies der Frankfurt University of Applied Sciences in Kooperation mit dem Ethikverband der deutschen Wirtschaft veranstaltet wurde.
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