2017 wurde in Deutschland die "Ehe für alle" – also auch für homosexuelle Paare – gesetzlich ermöglicht. Aber sie gilt nur für zwei Personen. Wer mehrere Menschen heiraten möchte, der macht sich strafbar. Und dazu zählen auch Menschen, die polyamourös leben.
Wenn eine Person in Deutschland zwei gleichberechtigte Partner*innen hat, dann kann sie nur eine der beiden heiraten. In der anderen Beziehung fehlt diese rechtliche Absicherung der Ehe dann, obwohl die Person vielleicht auch mit anderen Personen über einen gewissen Zeitraum zusammen wirtschaftet und auch gemeinsam Verantwortung übernimmt, erklärt Judith Geffert, die für Deutschlandfunk Nova zu dem Thema recherchiert hat.
"Aus staatlicher Perspektive gilt die Zweierbeziehung als Norm. Und die wird auch nur durch die Ehe gefördert und alle, die nicht so leben wollen oder können, werden außen vorgelassen."
Was sich ohne Ehevertrag regeln lässt
Eine Patient*innen-Verfügung oder Vorsorge- und Betreuungsvollmachten kann man beispielsweise auch für mehrere Personen ausfüllen. Darin kann man dann zum Beispiel festlegen, wer im Krankenhaus Auskunft bekommt. Und man kann auch Testamente zugunsten von mehreren Personen ausstellen. "Allerdings werden Ehepaare beim Erbe steuerlich bevorteilt", sagt Judith.
Große Hürden für polyamouröse Lebensgemeinschaften
Insgesamt fehle es an fachlicher Expertise, wenn es um Polyamorie gehe, sagt Leonie Groß-Usai, die selbst polyamourös lebt und ihre Doktorarbeit in Jura zu Polyamorie und Recht schreibt.
"Das ist schon für monogame Paare eine große Hürde, so etwas überhaupt festzuhalten", sagt Leonie Groß-Usai, "viele brauchen eigentlich Rechtsbeistand, und da ist es noch mal schwieriger für polyamore Lebensgemeinschaften, weil das Thema bisher in den Rechtswissenschaften kaum bis gar nicht bekannt ist."
Vor allem gewisse finanzielle Fragen lassen sich vertraglich nur schwer oder gar nicht regeln, wenn man nicht verheiratet ist. So haben verheiratete Paare nicht nur einen Steuervorteil durch das Ehegattensplitting, auch im Trennungs- und Todesfall sind sie besser abgesichert. "Das sind Momente, da denkt man jetzt nicht sofort dran, wenn man noch jung und frisch verliebt ist. Aber da können halt die größten Probleme entstehen", sagt Judith Geffert.
"Gerade bei der Trennung – wenn ich mich zum Beispiel jahrelang um ein gemeinsames Kind gekümmert und deshalb weniger Karriere gemacht, Vermögenseinbußen gehabt habe, die sich aber im Vermögen von mehreren Partner*innen niederschlagen. Wie kann man da einen Ausgleich schaffen?“
Wenn sich in einer polyamourösen Beziehung etwa eine Person um Kinder kümmert und dadurch Einbußen beim Vermögensaufbau hat oder auch in Bezug auf Rentenansprüche – wie kann das im Fall einer Trennung geregelt werden? Auf solche Fragen gebe es derzeit kaum Antworten, erklärt Leonie Groß-Usai.
Der Rentenanspruch sei nichts, was sich privat regeln lasse und für Vermögensausgleich gebe es bisher nur Modelle für zwei Personen. "Da kann man sich an dem, wie die Ehe das regelt, orientieren und sagen: 'Okay, wir haben beide zusammengearbeitet. Wir vermuten jetzt, wir haben beide gleich viel geleistet. Und dann gucken wir einfach, wer hat am Ende wie viel an Vermögen und das, was einer mehr hat, wird halbiert und dem anderen zugeteilt.
Das nennt sich Halbteilungsgrundsatz. Wenn es mehr als zwei Leute sind, funktioniert ein Halbteilungsgrundsatz nicht mehr. Da braucht man andere Quoten", erklärt Leonie Groß-Usai. Und dafür entwickelt die Juristin in ihrer Dissertation gerade ein neues rechtliches Modell.
"In Deutschland können höchstens zwei Elternteile rechtlich anerkannt werden und bei homosexuellen Eltern ist es noch mal ein bisschen komplizierter."
Leben mit Kindern
Kinder können in Deutschland bisher nur zwei Elternteile haben. Bei Homosexuellen kann das zweite Elternteil das Kind nur adoptieren. "Und das macht natürlich dann Hierarchien zwischen den Elternteilen auf", sagt Judith Geffert. Es gehe dann auch hier wieder um finanzielle Fragen: Wer bekommt Elterngeld und Elternzeit, wer zahlt Unterhalt im Falle einer Trennung?
Und es gehe aber auch um Care, also wer kümmert sich um das Kind, wer darf Entscheidungen treffen? Wer kann mit dem Kind verreisen? "Das ist so eine ähnliche Situation wie bei Patchwork-Familien", sagt unsere Reporterin.
Chancen der Verantwortungsgemeinschaft
Die Ampelkoalition hat beim Regierungsantritt angekündigt, ein neues Modell zu schaffen, mit dem sich Menschen, die füreinander Verantwortung übernehmen, rechtlich absichern können: die sogenannte Verantwortungsgemeinschaft.
Leonie Groß-Usai sieht darin zunächst eine Chance: Eine Verantwortungsgemeinschaft ist auch begrifflich genau das, was Polyküle sind. Und der Gesetzesvorschlag hat den großen Vorteil, dass zum ersten Mal überhaupt in den europäischen Rechtsordnungen ein Institut vorgeschlagen wird, das mehr als zwei Erwachsene einschließen kann", sagt sie.
Das Problem dabei sei jedoch, dass juristisch noch gar nicht klar sei, wie diese Verantwortungsgemeinschaft eigentlich aussehen soll. "Also soll sie nur auf freundschaftliche Beziehungen zugeschnitten seien, zum Beispiel auf Senior*Innen-WGs. Oder soll sie eine echte Absicherung auch für polyamore Liebesbeziehungen bieten? Denkbar wäre da auch ein mehrstufiges Modell", sagt unsere Reporterin.
Konservative Politiker befürchten allerdings, dass der besondere Schutz der Ehe dadurch verloren gehen könnte. Judith Geffert sagt, es komme jetzt ganz darauf an, was die Ampelkoalition aus ihrer Idee mache.