Artikel 21 GG, Absatz 1: "Die Parteien wirken bei der politischen Willensbildung mit." Politische Betätigung in Deutschland ist erwünscht. Entsprechend hoch liegen die Hürden bei einem Parteiverbotsverfahren. Rechtswissenschaftler Christoph Möllers über das, was es zu bedenken gibt.
"In gewisser Weise mache ich aus einer Lösung ein Problem", sagt Möllers. Ein klares Pro oder Contra zur Frage, ob die AfD verboten werden soll oder kann, gibt es von ihm nicht zu hören. Stattdessen beleuchtet er ausführlich und detailliert, worauf es bei der Anwendung von Art. 21 GG, Absatz 2 ankommt: "Parteien, die nach ihren Zielen oder nach dem Verhalten ihrer Anhänger darauf ausgehen, die freiheitliche demokratische Grundordnung zu beeinträchtigen oder zu beseitigen oder den Bestand der Bundesrepublik Deutschland zu gefährden, sind verfassungswidrig."
"Das Bundesverfassungsgericht will keine Parteien verbieten. Diese freiheitsentziehende Rolle wollen die nicht."
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) in Karlsruhe prüfe eigentlich Staatsakte anderer Organe. Ein Verbot auszusprechen, das sich gegen eigentlich erwünschtes Verhalten wie politische Meinungsbildung und Beteiligung richte, falle dem BVerfG schwer.
Parteiverbote fallen BVerfG schwer
Ein solches Parteiverbotsverfahren kann auf Antrag von Bundestag, Bundesrat und Bundesregierung als verfassungsgebende Organe aufgenommen werden. Es handelt sich also, laut Möllers, um ein Verfahren, "dem immer eine politische Entscheidung zugrunde liegen muss". Eine zentrale Frage lautet: Gibt es eine verfassungsfeindliche Gesinnung und wie wird die umgesetzt? Wehrhafte Demokratie bedeutet in diesem Sinne, dass auch legales Verhalten beobachtet wird.
"Das Verfahren beginnt 2013, die NPD sitzt in zwei Landtagen. In den folgenden Jahren steigt die AfD auf, verschluckt die NPD und es folgt der komplette Bedeutungsverlust der NPD."
Er spricht aus Erfahrung als Akteur bei einem solchen Verfahren. Er war Prozessbeauftragter des Bundesrates im NPD-Verbotsverfahren zwischen 2013 und 2017. Das Verfahren scheiterte schlussendlich, die NPD wurde nicht verboten, unter anderem mit dem Hinweis auf die fehlende Potenzialität der NPD. Die Partei, so wurde damals argumentiert, sei nicht in der Lage, relevanten Einfluss auf die deutsche Politik zu nehmen.
Entwicklungen unvorhersehbar
Möllers schaut sich die Begründung der Verfassungsrichter in diesem und in anderen Verbotsverfahren der Bundesrepublik Deutschland genau an. Das Argument der Potenzialität sieht er kritisch. Die Entwicklung und Einflussmöglichkeiten einer Partei ließen sich schlicht nicht prognostizieren:
Zum Veranschaulichen verweist er auf die Ergebnisse der NSDAP bei Reichstagswahlen zwischen 1928 und 1932: 2,6 Prozent der Stimmen erhielt die NSDAP bei der Reichstagswahl 1928, 18,3 Prozent bei der im Jahr 1930, und zwei Jahre später, im Juni 1932, waren es dann schon 37,3 Prozent der Stimmen. Eine enorme Veränderung innerhalb von vier Jahren. Auch wenn historische Unterschiede zwischen damals und heute bestünden, sei die "Erfahrung der Unvorhersehbarkeit" vielleicht doch übertragbar, argumentiert Möllers.
"Das Kriterium der Potenzialität ist eines, dass das Gericht kognitiv überfordert."
In seinem Vortrag klopft er vier Aspekte ab, die bei einem Verbotsverfahren relevant sind:
- Ideologie der Partei
- Aktivität der Partei
- Potentialität der Partei
Zudem könne der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) als weiterer Faktor eine Rolle spielen. Möllers verweist auf die entsprechende Rechtsprechung des EGMR, die Berufsverbote für Staatsbedienstete nach dem DKP-Verbot für unzulässig erklärt hatte.
"Man muss manchmal den Mumm haben, es zu tun, und manchmal die Weisheit, es zu lassen."
Von allen rechtlichen Aspekten abgesehen handele es sich bei einem Parteiverbotsverfahren um einen Prozess, der beständig politischer Aufklärung und öffentlicher Debatte bedürfe.
Christoph Möllers hat an der Humboldt-Universität zu Berlin den Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insb. Verfassungsrecht, und Rechtsphilosophie inne. Seinen Vortrag mit dem Titel "Rechtliche und politische Bedingungen eines Parteiverbotsverfahrens" hat er am 23. November 2023 im Rahmen der Ringvorlesung "Rechtsextremismus und Justiz" an der Humboldt-Universität zu Berlin gehalten. Die Ringvorlesung ist eine Kooperation von Gesicht Zeigen!, dem Arbeitskreis Kritischer Jurist*innen und der Projektgruppe "Rechtsextremismus und Recht" der Humboldt-Universität zu Berlin unter der Schirmherrschaft von Prof. Martin Heger.