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CDU und CSU profitieren bei Umfragen von der Coronakrise. Macht diese die Menschen konservativ? Einiges spricht dafür.

In aktuellen Umfragen geben wieder mehr potentielle Wählerinnen und Wähler an für die konservativen Regierungsparteien CDU und CSU votieren zu wollen, wenn denn gerade Wahlen wären (Stand 04.05.2020). Die Grünen haben einige Prozentpunkte verloren, die AfD stabilisiert sich. Zeichen eines Trends hin zu konservativer Politik?

Keine Experimente

Vielleicht ist die Erklärung dafür ziemlich einfach. Viele Menschen könnten in einer Krise abgeschreckt sein, quasi Experimente machen zu wollen. Selbst, wenn sie eigentlich mit der Politik der großen Koalition unzufrieden waren – sie haben in den vergangen Jahren erlebt, dass im Großen und Ganzen alles ganz gut lief: In riskanten Zeiten also lieber auf Nummer sicher gehen.

Hinzu kommt, dass viele Menschen den Kurs in Sachen Corona-Bekämpfung mittragen – ebenfalls ein Plus vor allem für die Kanzlerin-Fraktion CDU/CSU, aber selbst die SPD profitiert.

"Grundsätzlich sind es die Krisen, die Einstellungen am ehesten verändern können."
Moritz Kirchner, Psychologe

Es gibt aber auch Hinweise darauf, dass Menschen unabhängig ihrer tatsächlichen Wahlentscheidung in Krisenzeiten konservativer werden.

Psychologen von der University of California in Los Angeles haben rund 2000 Menschen mehrmals befragt - vor und während der Corona-Pandemie.

Eines der Ergebnisse: Während der Krise ist die Zustimmung für die traditionellen Geschlechterrollen etwas größer als vorher. Erwartungen, die wir an Männer und Frauen haben, entsprechen eher Stereotypen. Also beispielsweise Vorstellungen wie: Männer sind mutiger und abenteuerlustiger, Frauen sind reinlicher. In diesem Punkt sind die Befragten also ein bisschen konservativer geworden.

Hände desinfizieren verändert Einstellung zu Einwanderern

Ein Forscher der Universität Yale hat während einer Grippesaison einen Teil seiner Studierenden darum gebeten, sich die Hände zu desinfizieren. Die anderen Studenten bekamen keine Desinfektionsmittel.

Dann wurden alle nach ihrer Einstellung zu Einwanderern gefragt. Die Gruppe mit den desinfizierten Händen hatte eine positivere Einstellung zu Einwanderern. Möglicherweise fühlten sie sich sicherer. Umkehrschluss: Wer eine Gefahr wittert, neigt zu konservativen Einstellungen.

Ekel und politische Einstellung

Der Philosoph und Buchautor Philipp Hübl bringt zur Erklärung von Corona und Konservatismus den Ekel ins Spiel. Er sagt: Wer sich stark ekelt, wählt eher konservativ, hat strengere Einstellungen zu allem, was mit Leben, Tod und Gesundheit zu tun hat.

"Angst hat uns vor Gefahren geschützt. Der Ekel vor Infektionen hat uns davor geschützt, uns mit Infektiösem auseinanderzusetzen."
Philipp Hübl, Philosoph und Buchautor

Sich ekelnde Menschen sind strenger und konservativer was Sterbehilfe betrifft, Prostitution, Selbstbefriedigung, sagt Hübl. Nun könnte eine Infektionsgefahr mit einem potenziell gefährlichen Virus das Ekelgefühl entsprechender Menschen noch weiter verstärken – und so auch ihren Konservatismus.

Dass Krisen und die emotionale Reaktion darauf, Konservatismus befördern können, hält der Psychologe Moritz Kirchner aus Potsdam für plausibel: "Grundsätzlich sind es die Krisen, die Einstellungen am ehesten verändern können."

Ihr habt Anregungen, Wünsche, Themenideen? Dann schreibt uns an Info@deutschlandfunknova.de

Shownotes
Effekte der Krise
Pandemie und Politik: Der konservative Reflex
vom 04. Mai 2020
Moderator: 
Thilo Jahn
Gesprächspartner: 
Johannes Döbbelt, Deutschlandfunk-Nova-Reporter