Sexueller Missbrauch ist in Koranschulen in Pakistan allgegenwärtig. Öffentlich thematisiert wird das jedoch kaum. Betroffen sind nämlich vor allem Kinder armer Familien - und die Macht der Geistlichen ist groß.
Mehr als zwei Millionen Kinder (vor allem Jungen) besuchen in Pakistan eine Koranschule. Zum einen, weil der Staat wenig Geld in Bildung investiert und es zu wenig staatliche Schulen gibt. Zum anderen aber auch, weil die Kinder in den Koranschulen neben kostenlosem Unterricht auch etwas zu Essen bekommen. "Das allein ist schon ein Grund für viele, ihre Kinder dahin zu schicken, weil sie sonst gar nicht wissen, wie sie als Familie überleben sollen", sagt unser Korrespondent Jürgen Webermann.
Die Macht der Mullahs
Doch in den Koranschulen werden auch immer wieder Missbrauchsfälle bekannt. Aktuelle Nachforschungen der Hilfsorganisation Sahil haben ergeben, dass es in den vergangenen Jahren 300 bis 500 Fälle gegeben hat, bei denen die Schüler von ihren Lehrern, den Mullahs, bedrängt oder vergewaltigt wurden. Allerdings dürfte die Dunkelziffer deutlich höher liegen, sagt Jürgen Webermann. Aus Scham und Angst vor den Mullas würden längst nicht alle Fälle bekannt.
Missbrauch in pakistanischen Koranschulen ist ein Tabuthema. In den vergangenen Jahren gab es zwar immer mal wieder Schlagzeilen, sagt Jürgen Webermann. Doch das Problem wird öffentlich nicht thematisiert.
"Damals hat der zuständige Polizeioffizier eher mit den Schultern gezuckt und gesagt: Das kommt halt vor in Pakistan."
Das liegt vor allem an dem großen Einfluss der Mullas im Land. "Wenn es mal Ermittlungen oder Verfahren gibt, die vor Gericht landen, dann schauen die Richter auch ganz gerne mal zu, dass sie den Fall auch schnell wieder vom Tisch haben", sagt Jürgen Webermann. Mit ein paar Hundert Dollar Entschädigung an die Familien können sich die Mullahs von ihrer Schuld quasi freikaufen - rein rechtlich haben die Opfer ihren Peinigern dann "vergeben".
Schwacher Staat
Justiz und Staat seien zu schwach, um geltendes Recht wirklich durchzusetzen, sagt Jürgen Webermann. Ermittler, Richter und die betroffenen Familien hätten zu viel Angst vor den Geistlichen. "Der Staat knickt regelmäßig ein und das ist der Kern des Problems."
"Wer sich gegen die Mullas stellt, bringt sich selbst in Gefahr"
Aber auch große Teile der Gesellschaft ignorieren das Problem. "Die reicheren Pakistaner interessieren sich gar nicht für solche Fälle", sagt Jürgen Webermann. Und die betroffenen ärmeren Schichten hätten keine Lobby, um die Täter zur Rechenschaft zu ziehen.
Geldgeber Saudi-Arabien
Manche der Koranschulen werden außerdem als Brutstätten für Extremismus angesehen. Eigentlich müssen Koranschulen in Pakistan offiziell registriert werden. Daneben gibt es aber auch zahlreiche informelle Schulen, in denen kaum öffentlich kontrolliert wird, was gelehrt wird. Unklar ist auch, woher das Geld für die Schulen kommt. "Die Mutmaßung ist, dass Saudi-Arabien der größte Sponsor ist", sagt Jürgen Webermann. Die aus Saudi-Arabien stammende wahhabitische Lehre predigt einen extrem konservativen Islam.
"Im Grunde geht es darum, die Armen auch für extremistisches und sehr konservatives Gedankengut zu vereinnahmen."