Gerade wurde bekannt, dass sich in der Fleischverarbeitungsindustrie viele Arbeiter mit dem Coronavirus infiziert haben. Schon länger ist klar: Osteuropäische Arbeitsmigranten leben in Deutschland oft unter prekären Bedingungen. Häufig sind sie bei ausländischen Firmen angestellt, die sie ausbeuten. Zudem kennen sie ihre Rechte in Deutschland nicht. Peter Kossen, Pfarrer aus Lengerich, hilft - auch wenn er dafür Anfeindungen aushalten muss.
Die Fleischverarbeitungsindustrie in Deutschland ist auf Arbeiter aus Osteuropa angewiesen. Frauen und Männer kommen aus Ungarn oder Bulgarien, um hier zu arbeiten. Meist stehen sie am Fließband - ein harter Job. Sechs-Tage-Wochen a zwölf Stunden sind keine Seltenheit, Überstunden werden nicht bezahlt. Oft hausen sie in runtergekommenen, kleinen Unterkünften - manche mit Kindern.
Im Oldenburger Münsterland gibt es viele große Fleischunternehmen. Ein Pfarrer in Lengerich kümmert sich um die Arbeitsmigranten, die dort arbeiten und oft Schlimmes erleben.
Wenn Arbeitern gekündigt wird, verlieren sie auch ihre Wohnung
Jeden Tag, so Pfarrer Peter Kossen, komme es vor, dass Menschen ihre Arbeit und zugleich auch ihre Wohnung verlören. Das Problem sei nämlich, dass die Arbeitsmigranten nicht bei den deutschen Unternehmen selbst angestellt seien, sondern bei Subunternehmen aus ihren Heimatländern. Diese organisierten nicht nur die Jobs, sondern stellten auch Unterkünfte. Wer einmal unterschreibt, sei dem Subunternehmen ausgeliefert.
Die Arbeitsmigranten würden zusammen mit ihren Familien teils in Baracken untergebracht, kleine Wohnungen, in denen sie nicht selten zu zehnt Matratzen anmieteten, erklärt Peter Kossen.
"Junge Frauen aus Bulgarien und Rumänien, wurden ungewollt schwanger und bekamen ein Beschäftigungsverbot. Gleichzeitig mit der Kündigung wurden sie dann auch wohnungslos."
Peter Kossen erinnert sich noch gut an die Karwoche 2013. Draußen war es kalt, es schneite und einige Ungarn standen auf einmal völlig ratlos und aufgeschmissen in seinem Büro, sagt er. "Ihr Auto war kaputt, sie brauchten Geld und eine Unterkunft."
Pfarrer erlebt Anfeindungen und Bedrohung
Seit diesem Schlüsselerlebnis 2013 kümmert sich Pfarrer Kossen um osteuropäische Arbeitsmigranten. Viele könnten kein Deutsch und wüssten auch nichts von ihren Rechten, wenn sie hier in Deutschland arbeiten - beispielsweise, dass sie Arbeitslosengeld oder Sozialhilfe beziehen können.
Für seine Hilfsbereitschaft erntet Peter Kossen aber nicht nur Anerkennung. Mitunter werde er auch angefeindet oder sogar bedroht. Als eines Morgens vor seinem Büro ein totes Kaninchen gelegen habe, sei ihm ihm klar geworden, dass dies kein Zufall, sondern eine Drohung gewesen sei.
Covid 19: Arbeitsmigranten haben kaum eine Chance, sich und andere zu schützen
Im Interview mit Deutschlandfunk-Nova-Moderatorin Tina Howard erläutert der Pfarrer, wie sehr die aktuelle Covid-19-Pandemie, die Arbeiter verunsichert. Eine Chance, sich vor dem Virus zu schützen, hätten sie kaum. Sie wohnten auf engstem Raum mit vielen anderen Menschen unter schlechten Hygienevoraussetzungen zusammen. Auch der Transport zur Arbeit erfolge in vollgestopften Bullis.
Und selbst, wer sich krank fühle, würde trotzdem zur Arbeit gehen, da die Subunternehmer enormen Druck ausübten, so Peter Kossen. Ohne Geld, das viele auch zum Teil in die Heimat schickten, seien sie aufgeschmissen und perspektivlos, sagt er.
Inzwischen hat Peter Kossen einen Verein gegründet. Er heißt "Würde und Gerechtigkeit" – hier soll den betroffenen Menschen aus Osteuropa geholfen werden, beispielsweise dabei, eine eigene Wohnung zu finden, oder Anträge bei deutschen Behörden zu stellen.
Peter Kossen wird bei seiner Arbeit von David unterstützt. David kam vor sieben Jahren zusammen mit seiner Frau Loredana und den zwei Kindern nach Deutschland. Damals arbeiteten sie beide bis zu 50 Stunden die Woche am Fließband - die Kinder wurden von der Schwiegermutter betreut. Für das Leben und die Miete reichte das Geld trotz der harten Arbeit nicht.
David aus Rumänien baut sich und seiner Familie ein eigenes Leben in Deutschland auf
Glücklicherweise – so erinnert sich David – hatten er und seine Frau schon vorher etwas Deutsch gelernt. Das half den beiden, den Schritt zu gehen, ihren Leiharbeitervertrag bei den rumänischen Arbeitsvermittlern zu kündigen und sich auf eigene Beine zu stellen. David arbeitete in der Folge in der Gastronomie und als Paketlieferant.
"Am Tag der Kündigung habe ich den Kittel ausgezogen und in den Müll geschmissen. Dann habe ich gesagt: 'Tschüss, ich bin fertig mit euch' und bin gegangen."
Zusammen mit Pfarrer Peter Kossen setzt sich David heute dafür ein, dass Arbeitsmigranten an ihr Geld kommen und sich ein würdiges Leben aufbauen können. Arbeit gebe es in der Region genug, sagt Peter Kossen. Die Menschen müssten wissen, dass ihnen Hilfen vom Staat zustehen. Er möchte ein Türöffner sein, "zu den Behörden, aber auch zu guter, anständiger Arbeit und zu Wohnungen, die zumutbar sind", sagt er.