Erstmals gibt es in Deutschland mehr konfessionslose Menschen als Katholiken und Protestanten, sagt die Forschungsgruppe Weltanschauungen. Vor allem die Missbrauchsskandale haben wohl viele Menschen zum Austritt bewegt. Hat Kirche überhaupt noch Zukunft?
Schon als 13-Jährige wollte Josephine Teske Pastorin werden. Diesen Berufswunsch hat sie tatsächlich erfüllt: Heute ist sie Pastorin einer der größten evangelischen Kirchengemeinden Hamburgs – in Meiendorf-Oldenfelde. Kirche, das ist für sie ein Ort, an dem Menschen zusammenkommen, Gemeinschaft erleben und sich über ihren Glauben austauschen.
"Ich freue mich, wenn 20 Menschen in meinen Gottesdienst kommen. Aber es macht keinen Sinn, wenn wir innerhalb von drei Kilometern drei Gottedienste mit je 20 Personen haben."
Diesen Ort suchen allerdings immer weniger Menschen: Die Zahl der christlichen Gläubigen in Deutschland nimmt stetig ab. Mehr als eine Million Mitglieder haben die evangelische und katholische Kirche im vergangenen Jahr verloren. Und die Zahl der Kirchenaustritte bleibt weiterhin hoch – das zeigen Erhebungen der Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland.
In Job als Pastorin hat Josephine Teske mit den unterschiedlichsten Situationen zu tun: So steht sie etwa Menschen zur Seite, die trauern, schenkt einsamen Menschen ein Ohr oder begleitet junge Eltern bei ihrem Schritt in einen neuen Lebensabschnitt mit Kind.
Dass sich immer mehr Menschen mit christlichem Glauben von der Kirche abwenden, macht Josephine in erster Linie traurig, sagt sie. Traurig darüber, dass diese Menschen nicht mehr die Gemeinschaft innerhalb der Kirche erleben können – dabei könnte die Kirche gerade in diesen Zeiten voller Krisen und Unsicherheiten ein Ort sein, der Gläubigen etwas Sicherheit bietet.
"In Zeiten von Krisen suchen Menschen ganz oft nach spirituellen Wegen."
Aber auch traurig darüber, dass der Kirche dadurch Gelder fehlen, um wichtige Aufgaben zu erfüllen, wie etwa ihr Engagement für die Tafeln Deutschland, nennt sie als Beispiel.
Sie kann aber verstehen, so die Pastorin, dass die Missbrauchsskandale, die in den vergangenen Jahrzehnten oftmals vertuscht wurden und weiterhin nur sehr schleppend aufgeklärt werden, ein Grund dafür sein können, dass Menschen der Kirche den Rücken kehren.
"Wir haben bald eine riesengroße Welle an Pfarrpersonen, die in den Ruhestand gehen. Wir werden nur noch wenige sein, die das so alles wuppen müssen."
Nicht nur die Zahl der Mitglieder nimmt stark ab, in naher Zukunft wird es auch deutlich weniger Pfarrpersonal geben, erzählt die Pastorin. Ein großer Teil wird in den Ruhestand wechseln, erklärt sie, und dadurch werde sich die Arbeitslast der verbleibenden Personen dann deutlich erhöhen.
Die Pastorin hält ein Umdenken und eine Veränderung innerhalb der Kirche für wichtig. In ihrem Berufsalltag setzt sie sich zum Beispiel mit der sogenannten "Wohnzimmer-Kirche" dafür ein. Die Kirche wird mithilfe von Sofas umgestaltet, sodass eine gemütliche und informellere Wohnzimmeratmosphäre entsteht, beschreibt sie das Konzept.
Wohnzimmer-Gottesdienste: mehr Raum für die Gläubigen
Dort werden dann Fragen besprochen, die viele beschäftigen, erzählt sie, es gibt alkoholfreie Cocktails und manchmal auch die Möglichkeit, gemeinsam etwas Kreatives zu machen. Josephine Teske freut sich darüber, dass viele Gemeindemitglieder dieses Angebot in Anspruch nehmen. Bei diesen Zusammenkünften tritt die Pastorin etwas in den Hintergrund und lässt vor allem den Gläubigen den Raum, sagt sie, um miteinander ins Gespräch zu kommen.
"Ich finde das traurig für die Menschen, dass es irgendwas in ihrem Leben gab, das dazu geführt hat, dass sie austreten wollen."
Christiane Florin ist die Leiterin der Abteilung Kultur Aktuell beim Deutschlandfunk und beschäftigt sich als Religionsjournalistin bereits seit 15 Jahren mit Fragen rund um die Kirche. Für sie sind die rückläufigen Mitgliederzahlen der Kirche nicht überraschend - sie haben sich schon lange angekündigt, erklärt sie.
Gründe für Mitgliederschwund: Demographie und Enttäuschung
Der Mitgliederschwund lässt sich zum Teil auch auf den demographischen Wandel und die abnehmende Zahl von Taufen zurückführen, erklärt sie – aber eben nicht allein. Zu den Menschen, die die Kirche verlassen, zählen laut Christiane Florin vor allem:
- jüngere Menschen, die mit ihrer ersten Gehaltsabrechnung feststellen, dass sie als Mitglied der Kirche Kirchensteuern bezahlen
- Menschen, die an einem wichtigen Punkt in ihrem Leben, etwa bei einer Beerdigung, einer Hochzeit oder einer Taufe, eine negative Erfahrung mit der Kirche gemacht haben
- Menschen, die im Zusammenhang mit den Missbrauchsskandalen innerhalb der Kirche die Vertuschung, den Schutz der Täter und die Ignoranz den Opfern gegenüber nicht mit ihren moralischen Werten vereinbaren können
Viele der Mitglieder, die der Kirche sehr nahe stehen und sich engagieren, sehen es als Widerspruch, dass die Kirche einerseits Moral predigt und hohe ethische Maßstäbe formuliert und andererseits aber Opfer von Missbrauch nicht schützt und unterstützt, sondern im Gegenteil sogar eine schützende Hand über Tätern ausbreitet, sagt Christiane Florin. Das sei für viele Gläubige nicht nachvollziehbar und veranlasse sie dazu, aus der Kirche auszutreten.
Kirchenmitgliedschaft nicht mehr Default
Es gibt aber auch gesamtgesellschaftliche Entwicklungen, ergänzt sie, mit denen sich die sinkenden Mitgliedszahlen erklären lassen. Zum Beispiel werde es seltener, dass man automatisch der einen oder anderen christlichen Kirche angehöre - inzwischen sei es eher eine individuelle Entscheidung, die jeder für sich selbst trifft, so Christiane Florin.
"Es gibt neuere Untersuchungen, die sagen: Diese Frage nach Gott oder irgendetwas Höherem, was mein Leben bestimmt, das sind Fragen, die nicht so viele Menschen umtreiben."
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