Gesundheitsminister Jens Spahn will, dass mehr Organe gespendet werden, darum wirbt er für die sogenannte "Widerspruchsregelung". Medizinethiker Giovanni Maio ist dagegen. Er hält den Vorschlag aus vielen Gründen für problematisch.
Organspende in Deutschland funktioniert derzeit so: Nur wer zu Lebzeiten ausdrücklich zugestimmt hat, wird zum Organspender, füllt den Organspendeausweis aus und packt ihn in sein Portemonnaie.
Weil es in Deutschland über 9000 Menschen gibt, die auf ein Spenderorgan warten, möchte Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) die Zahl der Organspender gerne erhöhen. Nach einem Gesetzentwurf, den auch Parlamentarier anderer Parteien unterstützen, sollen künftig alle Volljährigen in Deutschland automatisch Organspender werden - bis auf Widerruf. Vor einer möglichen Transplantation sollen sich Ärzte im Zweifelsfall außerdem beim nächsten Angehörigen rückversichern.
Schweigen bedeutet nicht unbedingt Zustimmung
Medizinethiker Giovanni Maio hält den Vorschlag des Gesundheitsministers für problematisch. Er sagt, im Grunde verfüge der Staat somit über den Körper jedes einzelnen, "ohne dass wirklich gewährleistet ist, dass der Betreffende das tatsächlich will. Er hat ja nur nicht widersprochen." Und er fragt: Kann ein nicht erfolgter Widerspruch eine echte Willensbekundung sein?
"Ich halte das für sehr problematisch, weil das die persönliche Entscheidungsfreiheit des Menschen untergräbt."
Giovanni Maio spricht von einem "staatlichen Zwang" und erklärt, der einzelne würde gezwungen, etwas zu tun, damit der eigene Körper unangetastet bleibt. "Der Körper ist eben grundsätzlich nicht verfügbar", meint er. "Er gehört nicht dem Staat." Es gebe außerdem Menschen, die sich mit dieser Frage nicht beschäftigen wollen, auch das müsse man akzeptieren.
Widerspruchslösung führt nicht zwingend zu mehr Organspenden
Der Medizinethiker plädiert für bessere Aufklärung und andere Maßnahmen, um die Spendenbereitschaft zu erhöhen: Man müsse Vertrauen aufbauen.
Dass die neue Regelung automatisch zu mehr Organspenden führe, hält er für einen Trugschluss. In Spanien beispielsweise lägen die hohen Organspenderaten an der guten Organisationsstruktur der Kliniken, sagt er. Und es läge auch daran, dass man viel früher und intensiver mit den Menschen über das Thema spreche.
"Es gibt keinen Beleg dafür, dass, wenn man die Widerspruchslösung einführt, die Spenderrate steigt."
Kritik an der Widerspruchslösung kommt von verschiedenen Seiten: Der Vorsitzende des Deutschen Ethikrats, Peter Dabrock, nennt das geplante Vorgehen "übergriffig". Der Vorstand der Deutschen Stiftung Patientenschutz, Eugen Brysch, sagte: "Schweigen bedeutet nicht Zustimmung".
Abstimmung vor der Sommerpause
Eine Widerspruchslösung gilt in vielen europäischen Ländern - etwa in Frankreich, in Belgien oder in Österreich. Über den Gesetzentwurf von Jens Spahn soll im Bundestag noch vor der Sommerpause ergebnisoffen und ohne Fraktionszwang abgestimmt werden.
Zu geringe Spenderbereitschaft
Im Moment warten in Deutschland rund 9.400 Menschen auf ein Organ. Dagegen habe nur 955 Menschen im vergangenen Jahr ihre Organe gespendet. SPD-Gesundheitsexperte Karl Lauterbach, der den Gesetzentwurf unterstützt, sagte, jedes Jahr würden 2000 Menschen an Organversagen sterben.
Ein alternativer Vorschlag, den unter anderem die Grünen-Chefin Annalena Baerbock und CSU-Politiker Stephan Pilsinger unterstützen, sieht vor, dass Organe auch künftig - wie bisher - nur entnommen werden dürfen, wenn jemand dem ausdrücklich zugestimmt hat. Jeder Bürger soll aber regelmäßig mehrfach nach seinem Willen gefragt werden, zum Beispiel bei der Beantragung des Personalausweises.
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