Regelmäßig und eher viel, dann jahrelang nichts und heute sehr bewusst: Jans Trinkverhalten hat eine lange Geschichte. Isabella verkauft alkoholfreie Getränke – Symbolik und Rituale inklusive. Matthias Nanz ist Suchtexperte und weiß, wo der Genuss aufhört und die Krankheit beginnt.
Das regelmäßige Trinken habe bei Jan in der Oberstufen-Zeit begonnen. Am Wochenende feiern und Spaß haben, da habe sich der Alkoholkonsum schnell normalisiert. Irgendwann habe er aber gemerkt, dass der fröhliche und ausgelassene Aspekt nicht mehr vorhanden war und das Trinken im Freundeskreis einfach nur noch Gewohnheit wurde. "Weil es dazu gehört", sagt Jan.
Alkoholverzicht: Psychotherapie gibt Denkanstoß
Den entscheidenden Denkanstoß, seinen Alkoholkonsum zu hinterfragen, kam mit Beginn einer Psychotherapie und der Frage, nach Verzicht für die Dauer der Behandlung, erzählt Jan. Dreieinhalb Jahre habe er daraufhin nichts getrunken, sagt er.
"Die Therapeutin hat mich gefragt, ob ich mir vorstellen könnte, für den Zeitraum der Therapie keinen Alkohol zu trinken. Das war der Anstoßpunkt."
Jan habe dann angefangen mehr Sport zu machen und gespürt, dass er sich in dieser Zeit körperlich viel wohler fühlt. Ganz auf Alkohol verzichtet Jan heute zwar nicht mehr, aber er trinke wesentlich bewusster. In geselligen Runden, in der es Normalität sei, zu trinken, spüre er manchmal eine leichte, unterschwellige Irritation, wenn er sich Wasser bestelle. Er habe inzwischen aber gelernt, zu seinen Entscheidungen zu stehen und dass es keine Haltung sei, für die man sich schämen müsse.
Korken knallen lassen mit schmackhafte Alkohol-Alternativen
Isabella ist Soziologin und hat ein Buch zum Thema "Mindful Drinking" geschrieben. Damit wolle sie aber keine Dogmatik verbreiten, nicht zu trinken. Sie möchte Menschen vielmehr ermutigen, nicht jedem Druck und Zugzwang von außen nachzugeben, ihnen Alternativen aufzeigen und helfen, bewusster Alkohol zu trinken. Isabella hat beobachtet, wie in Berlin "rund um die Uhr" getrunken wird und hat schließlich nüchtern.berlin mitgegründet, einen Online-Shop für alkoholfreie Alternativen.
"Eine Flasche aufzumachen, ist ja auch was sehr Symbolisches. Es geht ja darum, einen Moment zu zelebrieren. Bei der Apfelsaftschorle fehlt halt dieses Korkenknallen."
Zur Gründung des Online-Shops habe sie die Frage geführt: "Was trinke ich, wenn ich nicht trinke." Dabei gehe es nicht um irgendwelche Softdrinks wie Limo, sondern um hoch- und gleichwertige Alkohol-Alternativen, mit denen zu bestimmten Anlässen auch mal die Korken knallen, sagt sie.
Zum Sortiment gehören unter anderem alkoholfreies Bier oder Sekt, aber auch entalkoholisierte Weine auf Saftbasis, die einen Restalkoholgehalt von bis zu 0,5 Prozent haben können. Das werde der Kundschaft natürlich kommuniziert, sagt Lena
Alkohol: Mehrere Stufen bis in die schwere Abhängigkeit
Jedes Jahr sterben in Deutschland schätzungsweise zwischen 50.000 und 70.000 Leute an den Folgen ihres Alkoholkonsums. Zahlen, die auch Matthias Nanz gut kennt. Er ist Suchtexperte und Geschäftsführer vom Institut für innovative Suchtbehandlung und Suchtforschung (ISS) in Nürnberg.
Die Empfehlungen der WHO für einen risikoarmen Konsum liege für Männer bei einer Menge, die ungefähr einem halben Liter Bier pro Tag entspreche. Für Frauen gelte die Hälfte, sagt der Suchtexperte. Dabei gelte aber, dass an zwei Tagen in der Woche nicht getrunken werden dürfe.
Bis in die schwere Abhängigkeit gebe es verschiednen Merkmale. Das können sein: die Entwicklung von Alkoholtoleranzen, soziale Probleme durch Konsum oder körperliche und psychische Endpunktsymptomatiken, sagt Matthias. Dazwischen gebe es verschiedene Stufen, die durchlaufen werden können. International habe man sich auf die Klassifikation von einer leichten, mittleren und schweren Abhängigkeit geeinigt, um den Verlauf besser zu beschreiben.
"International spricht man von einer leichten, mittleren und schweren Abhängigkeit. Einfach um dem Stufen-Verlauf bessere gerecht zu werden."
Problematisch werde es aber oft schon, wenn Menschen aus dem Freundes- oder Verwandtenkreis jemanden auf den Alkoholkonsum ansprechen, sagt der Suchtexperte. Das sei ein deutliches Warnsignal.
Bei Bedenken: sachlich bleiben und Vorwürfe vermeiden
Wenn wir Menschen auf ihren Konsum ansprechen, dann sollten wir nicht zu konfrontativ und mit Vorwürfen agieren, sondern möglichst die eigenen Sorgen und Bedenken äußern und einen konstruktiven Dialog suchen, sagt Matthias. Das Thema sei sehr emotional und auch mit Scham besetzt. Das sollten wir bedenken.
"Nicht den Fehler machen, nur in konfrontative Stellung zu gehen und mit Vorwürfen zu agieren, sondern sehr neutral, sachlich bleiben, die eigenen Sorgen und Bedenken äußern und versuchen, in einen konstruktiven Dialog einzusteigen."
Von Sektempfang bis Firmenjubiläum – in unsere Gesellschaft gebe es viele Gelegenheiten und mitunter auch eine Erwartungshaltung, das Glas mit Bekannten oder Arbeitskolleginnen zu erheben.
Im Gespräch erklärt der Suchtexperte auch, wie wir mit solchen Situationen umgehen, wenn wir nicht mittrinken wollen. Außerdem gibt er Tipps, wie wir uns verhalten können, wenn wir merken, dass wir Schritt für Schritt in eine Abhängigkeit geraten.
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- Jan, hat jahrelang nichts getrunken. Heute trinkt er Alkohol bewusst.
- Isabella, betreibt nüchtern.berlin und verkauft alkoholfreie Drinks
- Matthias Nanz, Suchtexperte, Institut für innovative Suchtbehandlung und Suchtforschung, Nürnberg