Myléne Delattre führt in Hamburg ein Hotel und ein Hostel. Als Anfang März 2020 der Lockdown kam, hat sie nicht lange überlegt und ihre Häuser für Wohnungslose geöffnet. Aus der Aktion ist ein Herzensprojekt entstanden, das noch lange weitergehen soll.
Über 50 Wohnungslose leben derzeit in den beiden Häusern der Hotel- und Hostelbesitzerin Myléne Delattre. Einige von ihnen wohnen schon seit März in einem der Zimmer und sind jetzt "feste Bewohnerinnen und Bewohner", wie sie sagt. Um ihnen das Wohnen so alltagstauglich wie möglich zu machen, haben Myléne und ihr Team im Hostel, in dem die meisten Obdachlosen leben, sogar mobile Küchen in jeder Etage aufgestellt.
An Weihnachten gab es einen großen geschmückten Baum im Hinterhof, an dem sich die Bewohnerinnen und Bewohner treffen konnten. Von den Wohnungslosen erfahre Myléne sehr viel Dankbarkeit, berichtet sie.
"Die Leute sind sehr dankbar, sind froh, dass sie jetzt zur Winterkälte ein Dach überm Kopf haben."
Für Myléne war das Öffnen ihrer Häuser selbstverständlich. Sie kann es verstehen, dass viele Hotelbesitzerinnen und -besitzer davor zurückschrecken. Gleichzeitig sagt sie: Man muss sich nur trauen, denn mehr als die Erfahrung zu machen, dass es vielleicht nicht geklappt hat, passiere nicht.
Finanzierung auf Spendenbasis
Finanziert werden die Übernachtungen von unterschiedlichen Organisationen. Beispielsweise hat der Hamburger Verein Straßenblues auf privater Basis Gelder gesammelt. Auch das Straßenmagazin Hinz und Kunzt hat durch eine Großspende viele Zimmer finanzieren können.
Doch nicht nur die Übernachtungen wurden gedeckt, sondern auch die Kosten für die Sozialarbeiterinnen, für Hygieneartikel und teilweise auch für Verpflegung, berichtet Myléne Delattre.
"Man muss sich nur trauen"
Obdachlosen Menschen ein Dach über dem Kopf bieten und das eigene Hotel trotz Corona-Pandemie mehr als sinnvoll nutzen zu können – das klingt nach dem perfekten Konzept. Dennoch gibt es bisher nur vereinzelt Hotels in beispielsweise Hannover, Berlin oder eben Hamburg, die sich für solche Projekte geöffnet haben. Warum sich nicht alle Hoteliers trauen, dafür sieht Myléne mehrere Gründe.
Zum einen hätten Hoteliers nicht die nötige Fachkompetenz, um sich umfassend um Obdachlose kümmern zu können. Denn es benötige mehr als ein Zimmer und Verpflegung. Fachkräfte müssten sich auch mit den Menschen hinsetzen und mit ihnen über ihre Probleme sprechen, sie zu Behördengängen oder Arztterminen begleiten.
"Wir als Hoteliers haben nicht die Fachkompetenz, um uns um Obdachlose zu kümmern."
Myléne Delattre habe das Glück, dass die Organisationen, mit denen sie und ihr Team zusammenarbeiten, diese Betreuung übernehmen. Diese Möglichkeiten gebe es vielleicht nicht in jeder Stadt, aber man müsse sich als Hotelier zumindest einmal trauen und auf bestimmte Organisationen zugehen, sagt Myléne. Und wer weiß, vielleicht ergebe sich dann doch eine Zusammenarbeit.
Weg mit den Vorurteilen
Zum anderen hätten viele Hoteliers immer noch das Vorurteil, dass Obdachlose sorgloser mit den Einrichtungen des Hotels umgehen könnten. Diese Bedenken kann sie allerdings schnell aus dem Weg räumen: Nach ihrer Erfahrung würden die Wohnungslosen die Zimmer teilweise ordentlicher behandeln als so manche Hotelgäste. Viele würden nicht mal die Reinigungskräfte reinlassen und lieber selbst putzen.
"Man muss sich da lösen von irgendwelchen Vorurteilen und gesellschaftlichen Einstellungen zu wohnungslosen Menschen – nicht jeder ist gleich und nicht jeder erfüllt irgendein Klischee."
Hilfe für den Neustart in ein besseres Leben
Das Feedback für Mylénes Projekt ist rundum positiv, berichtet sie. Auch normale Gäste des Hotels seien von der Aktion begeistert. Die Wohnungslosen selbst seien nicht nur sehr dankbar, sondern sähen nun für sich selbst auch eine Chance, einen Neustart im Leben zu wagen. Beispielsweise verlasse sie bald einer der Dauergäste, da er eine eigene Wohnung gefunden habe, erzählt Myléne stolz.
"Es ist ein Sprungbrett für die Leute, wieder ins Leben zu treten, Mut zu fassen, Energie zu tanken und das kommunizieren sie halt auch. Und das ist super schön."
Für Myléne und ihr Team war das Jahr 2020 "verrückt und nervenaufreibend". Dass sie die Idee, ihr Hotel für Obdachlose zu öffnen, so erfolgreich umsetzen konnten, darauf seien alle stolz. Sie hätten jetzt ein "Herzensprojekt" geschaffen, dass sie nicht nur während der Krise, sondern auch darüber hinaus erhalten wollen.