Für Angehörige der NSU-Opfer war das Gerichtsverfahren quälend, für manchen Mittäter ein Spaziergang. Der große Prozess gegen den NSU ist schon lange abgeschlossen. Jetzt ist die schriftliche Begründung da.
Fast zwei Jahre nach dem Urteil gegen Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte ist die schriftliche Begründung des Urteils im Prozess gegen die Terrorgruppe NSU abgeschlossen. Die Begründung sei zu den Akten genommen worden, hat das Oberlandesgericht München mitgeteilt. Sie umfasse 3.025 Seiten und soll nun umgehend den Verfahrensbeteiligten zugestellt werden, die in Revision gehen.
Zehn Morde, 15 Raubüberfälle und fünf Angeklagte und eine Verhandlungsdauer von fünf Jahren, müssten erst mal bewältigt werden, sagt der Journalist Thies Marsen. Er hat den Prozess beobachtet. Öffentlich zugänglich ist die Urteilsbegründung nicht.
"Die Prozessbeteiligten, also die Verteidiger, auch die Bundesanwaltschaft und die Nebenkläger können es sofort lesen. Sie müssen dafür allerdings erst mal nach München fahren."
Der Journalist geht davon aus, dass die Urteilsbegründung an der Enttäuschung der Hinterbliebenen von NSU-Opfern und ihren Angehörigen nichts ändern wird. Manche von ihnen würden nun sicherlich in dem Text nach Spuren des Staatsversagens suchen – genauer nach dem Versagen von Polizei und Verfassungsschutz.
Nebenklage – Enttäuschung bleibt
Für die Nebenkläger sei außerdem enttäuschend, dass das Gericht während des Verfahrens jeden Ausdruck von Anteilnahme vermieden habe, sagt Thies Marsen. Er erinnert daran, dass zwei maßgebliche Unterstützer mit sehr geringen Strafen davongekommen sind.
"Insgesamt ist die Hoffnung der Angehörigen der Hinterbliebenen auf die Justiz sehr, sehr gering. Sie haben eher Hoffnung auf die Gesellschaft, dass dort Druck entsteht."
Die Hauptangeklagte Beate Zschäpe war am 11.07.2018 verurteilt worden. Der Bundesgerichtshof wird das Urteil prüfen müssen: Angeklagte und auch die Bundesanwaltschaft werden voraussichtlich Revision einlegen.
Beate Zschäpe wurde wegen zehnfachen Mordes zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Gericht stellte zudem die besondere Schwere der Schuld fest - damit ist ihre vorzeitige Entlassung nach 15 Jahren rechtlich zwar möglich, in der Praxis aber so gut wie ausgeschlossen.
Geringe Strafen für Mittäter
Ralf Wohlleben hatte Beate Zschäpe, Uwe Mundlos und Uwe Böhnhardt mit Waffen ausgerüstet und wurde zu zehn Jahren Haft verurteilt – das Gericht sprach ihn der Beihilfe zum Mord in neun Fällen schuldig. Der Mitangeklagte Holger G. wurde wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung zu drei Jahren Haft verurteilt. Carsten S. erhielt wegen Beihilfe zum Mord in neun Fällen drei Jahren Jugendstrafe.
Beim Mitangeklagten André E. blieb das Oberlandesgericht mit zweieinhalb Jahren Haft wegen Unterstützung einer terroristischen Vereinigung weit unter der Forderung der Anklage, die auf Beihilfe zu versuchtem Mord plädiert hatte.
Hinweis: Inoffizielle Protokolle des NSU-Prozesses sind, anders als die Urteilsbegründung, frei zugänglich: Hier in Textform durch den Verein NSU-Watch dokumentiert und hier audiovisuell als Zusammenarbeit von Bayerischem Rundfunk, der Süddeutschen Zeitung und weiteren Medien und Mitarbeitenden aufbereitet. Die Bundeszentrale für Politische Bildung vertreibt sie hier in gedruckter Form.