Während des Nationalsozialismus wurden Sinti und Roma verfolgt und ermordet. Akten und Dokumente der NS-Behörden wurden in der Bundesrepublik von Polizeidienststellen weiterverwendet. Ein Vortrag der Kulturwissenschaftlerin Yvonne Robel.
Lange Zeit spielte die Verfolgung von Sinti und Roma in der Erinnerung und Erforschung der deutschen NS-Vergangenheit eine geringe Rolle. Der erste Schritt zur offiziellen Anerkennung der Verfolgung wurde erst 1982 gemacht. Damals gründete sich der Zentralrat Deutscher Sinti und Roma. Bundeskanzler Helmut Schmidt empfing eine Delegation des neu gegründeten Zentralrats und erkannte erstmals an, dass die Verfolgung von Sinti und Roma aus rassistischen Gründen erfolgte und Völkermord zu nennen sei.
Dokumente über die Verfolgung von Sinti und Roma waren überall verstreut
Das erzählt Yvonne Robel in ihrem Vortrag. Sie ist Kulturwissenschaftlerin. Genozid und die Verfolgung von Sinti und Roma gehören zu ihren Forschungsschwerpunkten. In ihrem Vortrag erzählt sie, wie auch nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs Akten von NS-Behörden in der Bundesrepublik weiterverwendet wurden.
Dokumente der nationalsozialistischen "Rassenhygienischen und bevölkerungsbiologischen Forschungsstelle am Reichsgesundheitsamt" wurden am Ende des Krieges ausgelagert und an verschiedene Stellen gebracht: zu Privatpersonen, zu universitätsnahen Einrichtungen, aber auch zu Polizeistellen.
"Der Umgang mit Material aus dem Nationalsozialismus ist ein Kernthema für die Wissensgeschichte der NS-Verfolgung von Sinti und Roma."
In Hamburg, so Robel, wurden Dokumente aus der NS-Zeit bis in die 1970er Jahre verwendet, um Akten über Sinti und Roma zu führen. Diese Akten, betont Robel, seien nicht ermittlungsbezogen geführt worden, sondern minderheitsbezogen.
"Dieses Material floss damit direkt in die von dieser Dienststelle angelegten Landfahrerakten ein. In diesen Akten trugen Polizisten bis in die 1970er Jahre akribisch Daten über Hamburger Sinti und Roma zusammen."
Die Tatsache, dass der Zugang zu den Dokumenten aus der Zeit des Nationalsozialismus lange nicht frei möglich war, erschwerte die historische Arbeit. Zudem gab es viele Kämpfe um Deutungshoheit. Wer hat das Wissen, wer hat die Macht, die Geschichte der Verfolgung von Sinti und Roma zu erzählen?
In ihrem Vortrag zeigt Yvonne Robel diese Konfliktlinien auf anhand des Beispiels einer großen Ausstellung in Hamburger Museum für Völkerkunde Anfang der 1980er Jahre.
Yvonne Robel ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am Forschungsinstitut für Zeitgeschichte in Hamburg. Ihr Vortrag hat den Titel "Der NS-Genozid an Sinti* und Roma*. Zum Wandel von Deutungshoheiten in der Bundesrepublik Deutschland." Sie hat ihn am 6. Juni 2024 an der Forschungsstelle für Zeitgeschichte in Hamburg gehalten im Rahmen der Vorlesungsreihe Erfahren, Erkunden, Erkennen. Wissensgeschichtliche Perspektiven auf den Nationalsozialismus.
Hinweise:
In diesem Hörsaal geht es um Verfolgung und Diskriminierung von Sinti und Roma im Wandel der Zeit in Deutschland. In diesem Zusammenhang werden auch zeithistorische Begriffe und Formulierungen zitiert, die heute als rassistisch und diskriminierend empfunden werden.
Das Bild zum Beitrag zeigt das Denkmal für die im Nationalsozialismus ermordeten Sinti und Roma Europas mit dem Reichstagsgebäude im Hintergrund.