Städte werben heutzutage mit ihrer "Kreativität". Das klingt nach Freiräumen für Kunst, für Ideen, für Subkultur. Es bedeutet aber eigentlich: Kreativität ist nichts weiter als ein Wirtschaftsgut, ein Standortfaktor. Dass diese beiden Vorstellungen städtischer Kreativität kollidieren, ist logisch.
Kreative wünschen und erkämpfen sich Freiräume. Sie besetzen Häuser oder ganze Viertel wie etwa das Gängeviertel in Hamburg. Das Paradoxe: Der Erfolg der Kreativen ist gleichzeitig ihr Misserfolg. Sie befördern mit ihrem Engagament das kreative, innovative Image ihrer Stadt. Genau das dient aber auch als "unique selling proposition" für Stadtplaner und Politiker, die Kreativität eben anders definieren, sagt die Humangeografin Iris Dzudzek.
"Die kreative Stadt ist zunehmend ein Verkaufsargument unternehmerischer Stadtpolitik. Kreativförderung heißt in erster Linie eben nicht Kulturförderung, sondern in erster Linie Wirtschaftsförderung."
In den Städten weltweit verschärft sich ihrer Ansicht nach so ein ohnehin schon zunehmender Verteilungskampf. Raum wird knapp, Mietpreise schießen in die Höhe. Kreative verdrängen Arbeiter, Investoren Kreative.
In ihrem Vortrag "Die Widersprüche der kreativen Stadt" geht Iris Dzudzek anhand von sieben Thesen der Frage nach, welche Rolle wir alle in der kreativen Stadt haben, in welchem Verhältnis die kreative Szene und der Rest der Städter stehen, wo die Grenzen der kreativen Stadt liegen.
"Gentrifizierung heißt immer auch Verdrängung. Kreative sind nicht nur Teil der Aufwertung, sondern sie sind natürlich auch betroffen."
Iris Dzudzek forscht und lehrt als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Humangeografie der Frankfurter Goethe-Uni. 2014 hat sie über die Herausbildung und Machteffekte neuer Regierungsformen der kreativen Stadt promoviert. Ihren Vortrag haben wir am 30. August 2015 aufgezeichnet, und zwar auf dem CityLeaks-Kongress, der sich um das neue Verhältnis zwischen Bürger und Stadt gedreht hat. DRadio Wissen ist Medienpartner dieses Kongresses, der im Rahmen des CityLeaks Urban Art Festival stattgefunden hat.
Bei dem geht es eigentlich weniger um die Grenzen der kreativen Stadt denn um ihre Möglichkeiten. Das veränderte Verhältnis zu unserer Städten, dieser Geist "Die Stadt gehört uns!", hat neue Kunstformen entstehen lassen. Graffiti, Murals, Stencils, urbane Klangkunst, tänzerische Interventionen - all das sind Spielarten öffentlicher und frei zugänglicher Kunst, wie sie beim CityLeaks Urban Art Festival in Köln noch bis zum 20. September präsentiert werden. Unsere Reporterin Almuth Knigge hat für den Hörsaal Augen und Ohren aufgesperrt.
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