Im Netflix-Film „To The Bone“ geht es um Magersucht. Kritiker sagen: Der Film glorifiziere und verharmlose die Krankheit. Für den Deutschlandfunk-Nova-Film- und Serien-Experten Tom Westerholt ist das Gegenteil der Fall.
In "To The Bone" wird die Geschichte der magersüchtigen Ellen (gespielt von Lilly Collins) erzählt. Sie ist 20 Jahre alt und lebt mit ihrem Vater, ihrer Stiefmutter und Stiefschwester zusammen. Eine klassische, ganz normale amerikanische Familie – auf den ersten Blick. Schnell wird nämlich klar: Der Vater ist nie da, die Stiefmutter ganz süß - aber mit Ellens krankhaftem Essverhalten völlig überfordert. Sie will helfen, weiß aber nicht, was sie machen soll, wenn Ellen mal wieder vorrechnet, was wie viele Kalorien hat:
"200 Kalorien für das Schwein, 350 für gebutterte Nudeln, 150 für das Brötchen und 75 für die Butter."
Der Film zeigt dabei nicht nur die Hilflosigkeit des Umfelds, sondern auch der Familie. Dabei hat Ellen bereits verschiedene Therapien hinter sich - nur geholfen hat keine. Ellen selbst glaubt aber fest daran, dass sie alles im Griff hat. Dabei nimmt sie immer mehr ab.
Als letzten Ausweg schließt sie sich einer Therapiegruppe an, die von dem recht unkonventionellen Dr. Beckham (Keanu Reeves) geleitet wird. In der Gruppe ist sie unter Gleichgesinnten und fühlt erstmals sowas wie Verständnis für ihre Person und die Krankheit. Ellen soll dort selbst herausfinden, wie sie ihre Sucht überwinden und sich selbst annehmen kann, um die Magersucht zu besiegen.
Mediziner kritisieren den Umgang mit Magersucht
Schon vor Veröffentlichung des Films (14. Juli) hat der Umgang mit Magersucht für viel Kritik bei Experten und in einigen Medien gesorgt. Im "Guardian" kritisieren Gesundheitsexperten, dass "To The Bone" die Krankheit "verniedliche" und "verherrliche". Auch die Therapie werde viel zu einfach und als "bereichernde Erfahrung" dargestellt.
Prompt folgte die Reaktion: Sowohl die Hauptdarstellerin Lily Collins als auch Regisseurin Marti Noxon waren in der Vergangenheit selbst an Essstörungen erkrankt. Sie wissen also genau, wovon sie reden und sollten daher für das Thema sensibilisiert sein. Marti Noxon postete deswegen auch eine Stellungnahme und rechtfertigte sich darin für ihren Umgang mit der Krankheit:
Die Mediendebatte um "To The Bone" wäre möglicherweise anders ausgefallen, wäre nicht vor kurzem erst eine andere Netflix-Produktion angelaufen: "Tote Mädchen lügen nicht". Eine Serie über den Selbstmord einer Schülerin, die aufgrund ihrer Inszenierung ähnlich kritisiert wurde.
Deutschlandfunk-Nova-Film- und Serien-Experte Tom Westerholt hält aber dagegen. Er hat sich den Film und die komplette Serie angeschaut und sagt über "Tote Mädchen lügen nicht": "Das ist kein Verharmlosen und erst recht keine Werbung für Suizid." Die Kritik an "To The Bone" bezeichnet er als "boulevard-journalistische Eyecatcher-Schlagzeilen". Westerholt empfindet den Umgang mit dem brisanten Thema Magersucht im Film als "sehr sorgfältig". Ellen werde mit der Magersucht auch kein bisschen cool oder hip dargestellt und sei deswegen auch nicht nachahmenswert:
"Kaputte Haare, eingefallene Augen, krummer Rücken, blutunterlaufene, rissige Fingernägel: Diese junge Frau leidet höchst offensichtlich unter sich selbst – und jeder, der sie liebt, leidet mit."
Bei Change.org gibt es mittlerweile sogar eine Petition, die Netflix dazu auffordert, „To The Bone“ gar nicht erst zu zeigen. Die Verantwortlichen könnten „jahrelange Therapie zunichte machen“, argumentiert die Initiatorin der Petition. Tom Westerholt meint, dass der Film auch dort differenziere: "Er endet nicht mit einem Happy End, zeigt den harten und schwierigen Verlauf einer Therapie und zeigt, dass Magersucht eine ätzende und schlimme Krankheit ist." Von vielen Kritikern wird allerdings eine Informationstafel gefordert, die dem Film vorangestellt wird, um bereits Erkrankte vor dem Inhalt zu warnen. Denn wie bei jeder Sucht, können bestimmte Bilder verstärkend wirken.