Bei bürgernahen Dienstleistungen ist Deutschland Analogistan. Hier klappt wenig online, in der Kommunikation mit Ämtern und Behörden. Rechtswissenschaftler Dirk Heckmann denkt trotzdem, dass Digitalisierung in Deutschland gelingen kann.
Im EU-weiten Vergleich schneidet Deutschland schlecht ab, wenn es um die Digitalisierung von Verwaltungsakten geht. eGovernment findet eher nicht statt: Laut Europäischer Kommission liegt Deutschland auf Platz 18 und damit unterhalb des europäischen Durchschnitts.
Worst Practice: Grundsteuer
Anschauliche Beispiele für deutsche digitale Worst Practise sind für Dirk Heckmann die Verfahren, mit denen Immobilienbesitzer die Grundsteuer ermitteln mussten und auch das Verfahren, mit dem Studierende die Energiepauschale zu beantragen hatten.
In beiden Fällen lagen die relevanten Daten laut Heckmann dem Staat bereits vor. Die Bürger mussten sie dennoch erneut liefern. Er fragt sich, wieso es zum Beispiel nicht möglich ist, automatisch die Daten aller eingeschriebenen Studierenden aus den Hochschul-Verwaltungen zur Antragstellung zu nutzen.
"Ohne den Willen und den Mut zur Veränderung findet digitale Transformation auch statt. Nur eben ohne uns."
Er macht einige historische Versäumnisse und strategische Fehlentscheidungen in Deutschland aus – unter anderem die Tatsache, dass Bundeskanzler Helmut Kohl in den 80er-Jahren auf Kabelfernsehen setzte statt auf Glasfaserausbau. Zudem sei Deutschland überreguliert, die Fehlerkultur dagegen aber unterentwickelt. Einiges an Software sei "broken by design".
"Wenn Sie einen Scheißprozess digitalisieren, dann haben Sie einen scheiß digitalen Prozess."
Er fordert Nutzerfreundlichkeit als Rechtspflicht und sieht das in Bayerns Digitalgesetz verwirklicht. Es brauche, sagt Heckmann, in Deutschland kleine gelingende Digitalisierungsprojekte, um verloren gegangenes Vertrauen wieder herzustellen, um Vorbilder zu schaffen. Stattdessen sei zu oft auf Großprojekte wie die elektronische Gesundheitskarte gesetzt worden, die dann scheiterten.
"Seit 20 Jahren setzt man sich Ziele, die man dann verfehlt."
Heckmann hat 12 Voraussetzungen ausgemacht, die gegeben sein müssen, damit digitale Prozesse in Deutschland gelingen können. Er nennt sie "12 Gelingensbedingungen für eine erfolgreiche digitale Transformation". Dazu gehören:
Wie der digitale Wandel gelingen kann
1. Wille und Mut zur Veränderung
2. Digitalkompetenz
3. Digitalstrategie
4. Infrastruktur
5. Ermöglichende (De-)Regulierung
6. Nutzerfreundliche Software
7. Konstruktiver Datenschutz
8. Vorbildprojekte
9. Zentralisierung & Standardisierung
10. Geld
11. Qualifiziertes Personal
12. Qualitätssicherung
"Deutschland ist komplett überreguliert. Nur eines fehlt: Eine Regulierung der vertretbaren Risiken und die entsprechende Fehlerkultur."
Dirk Heckmann ist Rechtswissenschaftler an der Technischen Universität München, er hat dort den Lehrstuhl für Recht und Sicherheit der Digitalisierung inne. Er forscht zu IT und Recht, insbesondere im Datenschutzrecht, IT-Sicherheitsrecht, E-Government, E-Health und Künstliche Intelligenz. Seit 2014 ist er Vorsitzender der Deutschen Gesellschaft für Recht und Informatik, seit 2018 Direktor am Bayerischen Forschungsinstitut für Digitale Transformation. Seinen Vortrag mit dem Titel "Das Untermaß aller Dinge. Wie Digitalisierung in Deutschland vielleicht doch noch gelingen kann" hat er am 13. Juli 2023 auf Einladung des Technologieforums an der Technischen Universität Berlin gehalten.