Kurz vor Beginn des Nato-Gipfels hat die Türkei ihren Widerstand gegen eine Aufnahme Finnlands und Schwedens aufgegeben. Was hinter den Kulissen passiert ist, erklärt Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
Gestern hatte der türkische Präsident Erdogan erneut mit der schwedischen Ministerpräsidentin Andersson und dem finnischen Staatschef Niinistö verhandelt. Auch Nato-Generalsekretär Stoltenberg war bei dem Gespräch dabei.
Und noch bevor der Nato-Gipfel begonnen hat, hat die Türkei grünes Licht für einen Beitritt Finnlands und Schwedens gegeben. Das hat viele überrascht, auch die Sicherheitsexpertin Claudia Major von der Stiftung Wissenschaft und Politik.
"Mich hat das überrascht, dass es dann doch so schnell funktioniert hat. Weil die Fronten vorher sehr verhärtet waren und die Türkei ihre Kritik sehr klar formuliert hat. Ich freue mich und bin sehr erleichtert."
Neben der Einstellung der "Unterstützung von Terrororganisationen" hatte Ankara auch die Auslieferung mehrerer Menschen gefordert, die in der Türkei unter Terrorverdacht stehen. Ankara hatte Finnland und Schweden vorgeworfen, die kurdische Arbeiterpartei PKK und die Kurdenmiliz YPG in Syrien zu unterstützen.
Auch die Waffenlieferungen an die Türkei waren ein Thema: Als Reaktion auf den türkischen Einmarsch in Nordsyrien 2019 hatten einige EU-Länder, darunter auch Deutschland und Schweden, die Rüstungsexporte eingeschränkt.
Immense Bemühungen hinter den Kulissen
Es überwog also der Eindruck, das Ganze könne sich noch eine Weile hinziehen. Gleichzeitig habe es hinter den Kulissen enorme Anstrengungen gegeben, die Türkei umzustimmen – sowohl vom Nato-Generalsekretär als auch von vielen Alliierten, etwa den USA. Dass der Weg für die Nato-Norderweiterung jetzt frei ist, habe sie sehr gefreut und sehr erleichtert, sagt Claudia Major.
"Die Türkei findet, dass ihre Sicherheitsprobleme – also das, wovor sie Angst haben – in der Nato nicht wirklich ernst genommen wird. Und sie hatten Sorge, dass das mit Finnland und Schweden noch schwieriger wird."
Aus türkischer Perspektive könne man die Einwände nachvollziehen, sagt die Sicherheitsexpertin. Das Land habe ohnehin die Sorge, mit seinen Sicherheitsbedenken in der Nato nicht wirklich ernst genommen zu werden. Durch die Norderweiterung könne sich das noch verstärken, so die Befürchtung.
Sicherheitsbedenken gegenseitig anerkennen
Die Türkei, Finnland und Schweden haben gestern ein Memorandum unterzeichnet, in dem sie grob aufzeigen, wie sie sich geeinigt haben. Dort heißt es beispielsweise, dass sie ihre jeweiligen Sicherheitsbedenken gegenseitig anerkennen und sich unterstützen wollen. Außerdem soll es wohl bald ein neues Abkommen zwischen den drei Staaten geben – über Themen wie etwa die Terrorismusbekämpfung, sagt Claudia Major.
Der Aushandlungsprozess sei sehr wichtig gewesen. Denn die Nato sei ein Verteidigungsbündnis und brauche Geschlossenheit. Sie sei nur dann stark, wenn alle 30 – bald 32 – Alliierte glaubhaft versichern können, dass sie sich vertrauen und im Krisenfall füreinander einstehen.
"Die Nato ist nur dann stark, wenn alle 30 – bald 32 – Alliierte glaubhaft versichern können, dass sie füreinander einstehen."
Was in den letzten Wochen passierte, nennt Claudia Major "ein bisschen irritierend". Finnland und Schweden sind schon lange enge Nato-Partner. Mitglieder werden wollten sie aber bisher nicht. Der Krieg habe diese jahrelange Politik verändert – und die Nato habe sich gefreut: Zunächst schien es eine Übereinkunft zwischen allen Nato-Staaten zu geben, dass die Norderweiterung ohne Probleme über die Bühne geht, so die Sicherheitsexpertin.
Die Einwände der Türkei seien dann "in letzter Minute" gekommen. Die Außenwirkung dieser Kommunikation nennt Claudia Major "desaströs". Denn sie habe Russland das Narrativ erlaubt: Seht her, der Westen ist gar nicht so geeint, wie er immer tut. Genau deshalb sei es äußerst wichtig gewesen, dieses Problem jetzt zu lösen.
Wenn in Madrid jetzt die Weichen für die Nato-Norderweiterung gestellt werden und ein offizieller Vertrag den Beitritt Finnlands und Schwedens festschreibt, müssen diesem noch alle Nato-Staaten zustimmen. Das dauert ein paar Monate, weil es durch alle Parlamente muss. In etwa sechs bis zwölf Monaten könnten Finnland und Schweden dann bereits Nato-Mitglied sein, glaubt Claudia Major.