Der Krieg gegen die Ukraine ist völkerrechtswidrig. Doch der russische Präsident Wladimir Putin erkennt eine eigenständige souveräne ukrainische Staatlichkeit nicht an – wegen der historischen Wurzeln, sagt er. Für ihn gehöre die Ukraine zu Russland. In ihrem Vortrag durchleuchtet Historikerin Susanne Schattenberg die Geschichte der beiden Länder.
Nationalität und nationale Identität gibt es noch nicht sehr lange – sie sind meistens ein Produkt des 19. Jahrhunderts. Laut der Historikerin Susanne Schattenberg setzt sich diese Identität aus folgenden Aspekten zusammen:
- Sprache,
- Geschichte,
- dem jeweiligen Staatsgebiet,
- dem Glauben,
- der Folklore,
- den Werten und Bräuchen.
Es ist ein komplexes Gebilde, das sich im Laufe der Jahrhunderte wandelt und entwickelt.
"In der Rus siedelten Russen, Ukrainer und Weißrussen. Das heißt: Alle drei Völker können gleichermaßen ihre erste Staatlichkeit aus der Rus ableiten."
Ukraine und Russland: Ihre (gemeinsame) Geschichte
Allerdings verläuft die Geschichte der Ukraine und Russlands auch über lange Phasen getrennt und sehr unterschiedlich. Susanne Schattenberg verweist auf die 300 Jahre zwischen dem 14. und 17. Jahrhundert, in denen sich beide staatlich, kirchlich und kulturell getrennt voneinander entwickeln.
In dieser Zeit fällt auch das 1648 gegründete Hetmanat, ein Herrschaftsgebiet der Kosaken, das die Ukrainer laut der Historikerin als ersten ukrainischen Nationalstaat begreifen. Allerdings suchte das Hetmanat den Schutz des russischen Zaren gegen Polen. Die Kosaken schworen dem Zaren im Januar 1654 die Treue.
"1654: Das ist das vermaledeite Datum, das bald in Russland und später auch in der Sowjetunion als 'Anschluss der Ukraine an Russland' galt. Weshalb Chruschtschow 1954 – zum 300. Jahrestag – der Ukraine die Krim schenkte."
Bestreben nach (Un)abhängigkeit
Susanne Schattenberg zeichnet in ihrem Vortrag die Geschichte der Ukraine nach, quer durch die Jahrhunderte, den Einfluss von Katharina der Großen, Staatsgründungsversuche bis hin zur Ukrainisch Sozialistischen Sowjetrepublik (USSR) und darüber hinaus.
Die Historikerin sieht bei den Ukrainern im Zarenreich wie auch zu Zeiten der Sowjetunion das Bestreben, sich abzugrenzen, auf Eigenständigkeit zu pochen. Wohingegen Russland ein inklusives Nationalverständnis entwickelt habe.
"Die zarische Geheimpolizei und der Zar selbst schätzten die ukrainische Nationsbildung als so gefährlich ein, dass sie 1876 das Ukrainische verboten."
Dieses Verständnis begegne uns bis heute, wenn Wladimir Putin meint, Russland und die Ukraine seien Teil einer Kultur. Die Historikerin bezeichnet die Geschichte der beiden Länder als "verflochtene Geschichte". Die titelgebende Frage aber, "Wohin gehört die Ukraine?" könne nur von der Ukraine beantwortet werden.
Susanne Schattenberg leitet die Forschungsgruppe Osteuropa und ist Professorin für Zeitgeschichte und Kultur Osteuropas an der Universität Bremen. Ihren Vortrag mit dem Titel "Wohin gehört die Ukraine? Ein Konflikt, seine Ursprünge und seine Perspektiven" hat sie am 12. Mai 2022 auf Einladung der Bremer Sektion der Gesellschaft für Sicherheitspolitik in Bremen gehalten.