Kurze Popsongs sind beliebt, da sich unsere Wahrnehmung und Aufmerksamkeit verändert haben. Auch Streamingdienste tragen zum Erfolg der knappen Songs bei.
Die Klassiker in der Popgeschichte haben aus heutiger Sicht oft eher eine epische Länge wie "Stairway to heaven" von Led Zepplin. Ganze acht Minuten ist das Stück lang. Oder "Brothers in Arms" von den Dire Straits - sieben Minuten - und die Mini-Möchtegern-Oper "Bohemian Rhapsody" von Queen kommt auf sechs Minuten.
Heute beeinflussen die Digitalisierung und Social Media stark unsere Aufmerksamkeitsspanne und Wahrnehmung. Streamingdiensten und Formate wie Reels und Vines auf Social-Media-Kanälen haben die Art, wie wir Musik konsumieren, in den vergangenen Jahren stark verändert.
"Mit unserer Aufmerksamkeitsspanne ist ganz bestimmt was passiert, in den letzten Jahren, also mit der Aufmerksamkeitsspanne der ganzen Menschheit, durch Social Media und Instagram und Tik Tok, usw."
Auf Streamingplattformen wie Spotify ist die gültige "Währung", die unter anderem zur Popularität eines Songs beiträgt, die Zahl der Abrufe. Ein Lied gilt als abgerufen oder gehört, wenn es mindestens 31 Sekunden gelaufen ist. Erst dann sehen Interpreten und Komponisten Geld, auch wenn es nur ganz wenig ist: zwischen 0,2 und 0,9 Cent.
Musikproduzenten spielen auch mit solchen Vorgaben. Wie zum Beispiel das Label, dass Musiker dazu aufgerufen hat, Songs für ein Album zu produzieren, auf dem jeder Song nur 31 Sekunden lang ist.
"Aber wie kriegt man dieses Tempo hin? Intro weg, Gitarrensolo weg. Keine Passagen, in denen nicht gesungen wird. So wird der Song kurz und knackig. Weglassen kann man aber sogar noch mehr."
Aber auch die klassische Struktur eines Songs, der aus Strophe und
Refrain besteht, wird oft aufgelöst. Die Bochumerin Amilli hat bei ihrem
neuen Song "What if" kräftig an der Strophe gespart. Eigentlich bestehe
der Song fast nur aus dem Refrain, sagt der Musikjournalist Christian
Moster.
Klassische Songstrukturen lösen sich auf
In Hip-Hop-Tracks geht es gar nicht mehr so sehr um Strophe und Refrain, wie das Beispiel des Songs "Edamame" von Bbno$ & Rich Brian zeigt. Hier stehen der Text und der Beat viel mehr im Vordergrund.
Die Länge des Songs ist außerdem auch eine Frage der Geschwindigkeit,
sagt Christian Moster. Der Klassiker "Brothers in Arms" von den Dire
Straights ist vor allem eins: langsam.
Songs werden schneller
Sängerin Pixey rauscht im Schnelltempo durch ihr Song "Sunshine
state" hindurch. Wer schneller singt, ist früher fertig, hier sind es am
Ende 2:17.
Musiker haben früher anders Geld verdient
Vor ein paar Jahrzehnten waren es noch die Schallplatte und die Single aus Vinyl, also das Trägermedium, auf dem die Songs gespeichert waren und ihre Länge geprägt haben. Die Dauer, während der Song im Radio zu hören war, hat Interpreten und Komponistinnen Tantieme gebracht.
Eine Rolle hat auch gespielt, wie viel Werbung ein Radiosender spielen wollte, um sich finanzieren zu können. Die Länge von Popsongs orientierte sich somit auch an Werbepausen und pendelte sich auf drei bis fünf Minuten ein.
Neue Währung Abrufzahlen
Inzwischen sind es andere "Währungen", die die Länge eines Popsongs
beeinflussen. Streamingzahlen auf Plattformen wie Spotify, Klicks und
Likes auf Youtube und auch das Nutzerverhalten von Hörern eines
Radiostreams. Führt ein langes Songintro dazu, das Nutzerinnen und
Nutzer abschalten? Wie reagieren sie darauf, wenn ein Song länger als
der Durchschnitt ist?
Bei digitalem Streaming sind das alles Faktoren, die dokumentiert und
analysiert werden. Radio soll dynamisch und abwechslungsreich klingen,
nicht langweilen, aber das Gehör und Gehirn auch nicht überfordern.
Lange Songs passen in dieses Konzept nur in Ausnahmefällen rein.