Der neue heiße Scheiß, der die Frühjahrsmode 2019 ausmachen soll, heißt Warcore. Männer und Frauen sehen dabei aus, als wollten sie in den Krieg ziehen. Wir klären, was es damit auf sich hat.
Die Modezeitschrift Vogue fragt sich, ob Normcore von Warcore abgelöst wird. Normcore ist der unauffällige Normalo-Look, den wir im Moment tragen: hüfthohe Jeans mit einfachen Poloshirts, dazu klobige Sneaker und eine Fleecejacke, wenn es mal kühler wird.
"Kampfkleidung light"
Warcore dagegen ist "Kampfkleidung light", sagt die Modejournalistin Gesine Kühne. Sie hat sich die Frühjahrskollektionen 2019 von Louis Vuitton, Alyx und Dior angeschaut, die in Mailand, Paris und New York gezeigt wurden. Was ihr aufgefallen ist:
- Die Männer tragen unter anderem Hosen mit großen Cargotaschen
- Das Camouflagemuster ist neben schwarz ein wichtiger Indikator
- Viele spielen mit Gurten, die große Schnallen aus Metall haben – eine Art Geschirr, das aussieht wie Sicherheitsgurte aus dem Kampfjet
"Gerade die Gurte haben etwas sehr Martialisches."
Ziemlich martialisch findet Gesine diesen Look. Matthew Williams Alyx, der Designer des Labels Alyx, habe sogar Sturmmasken auf seiner Show gezeigt.
Sturmmasken und kugelsichere Westen
Und sein alter Kompagnon Abloh, mit dem er das Label Alyx gegründet hat und der jetzt Artistic Director bei Louis Vuitton ist, habe für die Männer eine Art "kugelsichere Weste" in die Kollektion genommen.
Sowohl bei den Männern als auch bei den Frauen komme der militärische Einschlag aber nicht erst im nächsten Frühjahr, sagt Gesine. Die großen Designer hätten nur endlich wieder erfolgreich Streetwear kopiert beziehungsweise zitiert.
Inspiration durch Streetwear
Sie hätten genau geguckt, was auf der Straße und in den Clubs, zum Beispiel dem Berghain in Berlin, getragen wird: das Harness (deutsch "Gurtzeug") zum Beispiel, ein Ledergeschirr für den Oberkörper.
"Das Harness ist seit Jahren eines der wichtigsten Accessoires in düsteren Technoclubs wie dem Berghain oder dem Kit Kat Klub in Berlin."
Frauen tragen das Ledergeschirr auch. Genauso wie Fliegeranzüge, so genannte Utility-Belts, also Lastengurte als Gürtel, Cargohosen und Westen.
Warcore reagiert auf Zeitgeschehen
Die Mode reagiert auf das Zeitgeschehen, sagt Gesine. Als ab 2015 mehr und mehr die Rede von der steigenden Zahl von Geflüchteten war, hätten Modedesigner das Thema aufgegriffen. Designer wie Sadak zum Beispiel, der selbst einen Migrationshintergrund hat.
Der Serbe habe schon vor zwei Jahren mit Militärzitaten auf das aktuelle Geschehen hingewiesen. Ein Jahr später gab es auf einmal Cargohosen auf dem Laufsteg. Das seien aber damals eher kleinere Designer gewesen. Die großen bräuchten ein bisschen länger, bis sie reagierten.
Sicherheit zum Anziehen
Die Konsumenten fühlten sich in den heutigen Zeiten unsicher, sagt Gesine. Mit dem Military-Look zögen sie sich eine harte Schale an.
"Mit dem Warcore verpacken Leute ihren Körper in eine harte Schale."
Die Mode zeige also gewissermaßen auch, dass die Gesellschaft irgendwie instabil zu sein scheint. Mode sei aber auch immer ein Spiel, eine Provokation, die nicht ernst genommen werden muss, sagt die Modejournalistin.
Gewaltverherrlichung?
Kritiker sagen: Der Military-Mode haftet immer ein Hauch von Gewaltverherrlichung an. Gesine sieht das anders:
- In den 50er Jahren hätten die Jugendlichen auch Bomberjacken getragen – als Zeichen der Rebellion, um ihre kriegsgeschundenen Eltern zu provozieren.
- In den 60ern wurde der Parka und das Camouflage-Muster von Kriegsgegnern getragen.
Die Modejournalistin glaubt daran, dass reflektierte modebewusste Menschen ihre Klamotten tragen, um Zeichen zu setzen und nicht nur, um hip zu sein. Für sie ist Warcore in seiner Ursprungsform – also nicht in der überteuerten Ausführung der Designer – eine Art "Hallo, wir wissen genau, was los ist und sind gegen eure Mauern an Grenzen und die Gewalt gegen Unschuldige".
Mode zum Selbermachen
Gesine findet es auch cool, dass man sich den Look einfach selbst zusammenschustern kann: Ein Fliegeranzug kostet im Netz um die 40 bis 50 Euro, sagt sie. Gerade bei Frauen sehe er super stylisch aus – auch, weil er das Genderklischee nicht bediene.
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