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Es gibt viele Beispiele von immateriellen Kulturgütern und Praktiken, die wir in unseren Alltag übernommen haben. Oft in abgewandelter Form. Zum Beispiel Yoga. Manche sprechen hier von kultureller Aneignung.

Was ist Yoga beziehungsweise was darf oder soll es hierzulande sein? Ich müsste mich mehr bewegen, fitter werden – ich probiere es mal mit Yoga, sagt vielleicht der eine oder die andere von uns? Ist es ein Sport? Sind es Bewegungspraktiken? Viel mehr als das?

"Da fehlt mir die Demut zu sagen, ich habe nicht die Deutungsmacht, sondern ich frage nach. Und das ist etwas, was wir im Westen nicht gut können, weil wir diese koloniale Geschichte mit uns tragen."
Janna, praktizierende Yogini

Ist Yoga Teil unseres Alltags oder gar unserer Kultur? Ja, würden viele sicherlich antworten. Yogastudios gibt es an jeder Ecke, viele von uns haben es möglicherweise selbst schon einmal ausprobiert oder kennen jemanden, der es praktiziert oder sich gar zum Yogalehrer oder zur Yogalehererin hat ausbilden lassen.

Würde uns jemand fragen, ob wir wissen, was Yoga ist, würden wir möglicherweise auch ja sagen, obwohl wir uns vielleicht noch nie intensiv damit auseinandergesetzt haben. Arroganz, Ignoranz – oder beides?

Yogini Janna kritisiert, dass es uns hierzulande aufgrund unserer Kolonialgeschichte schwerfällt, uns bewusst zu machen, dass wir nicht die Deutungshoheit über Praktiken anderer Kulturen haben.

Heilige Om-Silbe auf Yoga-Matten, auf denen wir sitzen

Wir eignen uns diese kulturelle Eigenheit an, obwohl wir möglicherweise noch nicht einmal zuerst damit assoziieren, dass es sich um eine philosophische Lehre handelt. Dass die geistigen und körperlichen Übungen, die für uns meist im Fokus stehen, mit denen wir Flexibilität, Kräftigung und Ausgeglichenheit erlangen wollen, nur ein Aspekt dieser spirituellen Praxis sind.

Den unbedachten und damit respektlosen Umgang mit heiligen Sanskrit-Symbolen und Statuen, mit denen Yoga-Gear und Studios ausstaffiert werden, kritisiert auch Sangeeta Lerner. Sie wurde in Indien geborene und arbeitet inzwischen seit gut zehn Jahren in Berlin als Yogalehererin.

Sie kritisiert zum Beispiel, dass Unternehmen die als heilig geltende Om-Silbe auch auf Yogamatten drucken, auf die sich Yogis und Yoginis dann draufstellen, draufsetzen oder drauflegen: Ein Beispiel für Symbole und Codes, mit denen viele von uns sich nicht auskennen, und dadurch – aus Sicht der Ursprungskultur – ungehörig umgehen.

"Wenn man nicht versteht, dass man in einem weißen Körper ein Privileg hat. Egal, ob du arm bist oder reich bist, du bewegst dich anders in Institutionen, da ist eine andere Unterstützung vorhanden."
Sangeeta Lerner, Yogalehrerin

Die Yogalehrerin Anna Trökes hat einen anderen Blick auf die Yogapraxis. Sie sagt im Schweizer Fernsehsender SRF, dass es sich bei dieser kulturellen Praxis um ein Konzept handele, dass sich durch kulturellen Austausch weiterentwickelt habe. Sie betrachtet diesen Austausch als Bereicherung und spricht nicht von kultureller Aneeignung, die Kritiker*innen der modernen Yogapraxis inzwischen immer wieder kritisch betrachten.

Anna Trökes im Interview mit dem SRF: "Es gibt nicht den klassischen oder den traditionellen Yoga, sondern er war schon immer ein Konglomerat. Der moderne Yoga, mit oder ohne religiöse Anteile, habe sich ganz viele europäische Techniken angeeignet."

Austausch vs. Aneignung

Es gibt viele andere Kulturgüter, bei der die Frage nach kultureller Aneignung beziehungsweise Weiterentwicklung gestellt werden kann. Faux calligraphy zum Beispiel. Das ist inzwischen weltweit ein beliebtes Hobby – das wenig mit der kunstvollen Abschrift heiliger christlicher, islamischer oder jüdischer Texte zu tun hat, von der es abgeleitet wurde. Die Kunst des Schönschreibens galt einst als sakrale Handlung, das heißt, sie diente religiösen Zwecken.

Könnten die einstigen Kalligrafie-Meister es als eine blasphemische Herabwürdigung betrachten, dass jung und alt in Ost und West sich inzwischen daran freuen, ganz unreligiöse Inhalte kunstvoll zu Papier zu bringen und ihre 'Machenschaften' auf Instagram zu posten?

Oder schlimmer noch: Inzwischen können wir Faux calligraphy überall entdecken, wohin unser Blick fällt. Die Kunstschrift wird auf Tassen und Kleidung gedruckt und für Werbungen und Ladenfronten verwendet. Der ultimative Kommerz. Heiliger Bimbam. Sollte man das tun oder lassen?

Döner: Ein türkisches Kulturgut?

Dass hierzulande türkische Esskultur oftmals – im Alltag oder auch in Dokumentationen über türkische Kultur – auf den Döner Kebap heruntergebrochen wird, schmerzt türkischstämmige Menschen möglicherweise insgeheim ein wenig. Zumal es überhaupt nichts mit dem Tellergericht gemein hat, das sie im Urlaub mit den Eltern in der Türkei im Familienrestaurant serviert bekommen haben. Krautsalat und Cocktailsoße? Fehlanzeige.

Der Döner in Deutschland - eine Respektlosigkeit? Kulturelle Aneignung? Aber Moment mal, der unauthentische Imbiss, der hierzulande meist in Fladenbrot, Papier und Alufolie verpackt verkauft wird, soll die Erfindung eines Berliner Türken aus den 1970er-Jahren sein und wird auch in der Regel fast ausschließlich in türkischen Imbissbuden verkauft.

Wenn also Türkischstämmige – unter anderem oder auch hauptsächlich daran verdienen, – ist es dann in Ordnung, dass hierzulande ein Döner Kebap verkauft wird, der mit dem ursprünglichen Gericht nichts zu tun hat? Vielleicht hat die Frage einfach noch niemand gestellt.

Shownotes
Vorwurf kulturelle Aneignung
Ist modernes Yoga respektlos?
vom 06. Januar 2023
Moderation: 
Jenni Gärtner