Kimi setzt alles aufs Spiel, um sich einen großen Traum zu verwirklichen: Sie will unter die Top 10 bei einem der wichtigsten Läufe der Trailrunning-Szene kommen. Doch sie schafft es nicht. Martina Leisten ist Systemischer Coach und hilft Menschen, die gescheitert sind.
Scheitern verbinden wir häufig mit einem Vorhaben, das nicht geklappt hat oder sogar einem Traum, der geplatzt ist. Kimi Schreiber ist das passiert. Sie ist Profi-Trailrunnerin und läuft vor allem in den Bergen. Ihr großes Ziel ist es, in die Top 10 beim UTMB zu schaffen – dem Ultra Trail du Mont Blanc in Frankreich.
Um noch besser trainieren zu können, zieht Kimi 2023 nach Chamonix in Frankreich und lässt vieles zurück – ihre Heimat München, ihren Freund, den Freundeskreis, ihre Familie. Am Ende hat sie ihr Ziel nicht erreicht und Chamonix wieder verlassen.
Vom Ehrgeiz angetrieben
Rückblickend sagt Kimi, dass sie sich damals in den Gedanken verbissen hat, nach Chamonix zu ziehen, um erfolgreicher zu werden: "Ich dachte, das wird mein Jahr. Und ich dachte, ich muss an einen Ort ziehen, wo ich meinen Sport – also das Berglaufen, das Trailrunning – perfekt ausüben kann, um noch besser zu werden, quasi eine bessere Version meiner selbst zu werden."
"Ich glaube, ich war zu dem Zeitpunkt so ein bisschen auf der Suche nach einem Neuanfang."
Nach dem Umzug hat es sich vor Ort für Kimi aber gar nicht gut angefühlt: "Mir hat es schon sehr, sehr weh getan, meine WG zu verlassen. Ich muss sagen, ich hatte eine tolle Wohnung in Chamonix, einen tollen neuen Mitbewohner. Daran lag es gar nicht. Aber ich habe schon ziemlich schnell gemerkt, dass es irgendwie doch ein anderes Gefühl ist."
Dazu kommt, dass sie in der Zeit frisch mit ihrem damaligen Freund zusammengekommen war, der in München wohnte. Es hat Kimi schon belastet, ihn dann nur noch selten zu sehen. Aufgegeben hat sie aber nicht sofort: "Ich habe mir gesagt: Kimi, lass dir Zeit, komm erst mal an. Und das hat dann aber doch irgendwie länger gedauert, als ich mir gedacht habe."
Heimweh hat alles überlagert
Immer wenn Kimi in ihrer Heimat München zu Besuch war, wollte sie eigentlich gar nicht wieder zurück nach Chamonix, das in der Grenzregion zu Italien und zur Schweiz am Fuße des Mont Blanc liegt.
Dieses Heimweh hat sich dann auch auf Kimis sportliche Leistung ausgewirkt: "Der Kopf ist halt schon sehr entscheidend im Leistungssport. Und ich hatte zwar die perfekten Trainingsbedingungen, aber ich habe irgendwie nie so richtig geschafft, diese Landschaft und diese tolle Atmosphäre in Chamonix zu genießen."
"Da mein Kopf einfach nicht bei der Sache war und ich auch ein schweres Herz hatte, war auch das Training sehr schwer und extrem viel Arbeit."
Kimi ist mit dem Training nicht richtig vorangekommen. An dem Tag, als ihr großer Wettkampf anstand, hatte sie eigentlich gar keine Lust auf diesen Lauf: "Also weil ich einfach schon gemerkt habe, ich werde heute nicht die Performance zeigen können, die ich eigentlich gerne zeigen wollen würde." Die mentale Belastung hat dann am Ende dazu geführt, dass sie ihr großes Ziel nicht erreicht hat.
"Dei so einem kompetitiven Rennen in die Top 10 reinzukommen, wenns mental einfach nicht da ist, war schier unmöglich. Von daher wusste ich eigentlich schon: Mein Tag wird es nicht."
Den Schritt zurück wagen
Was Kimi danach geholfen hat: viel reden. Sie hat sich mit ihrem Teammanager ausgetauscht, der sie auch ermutigt hat, den Umzug nach Chamonix zu überdenken: "Das war sehr schön zu hören, weil ich wirklich von außen gespiegelt bekommen habe: Kimi, gerade kommst du uns nicht glücklich vor. Und vielleicht musst du den Schritt zurück machen." Kimi hat sich darüber Gedanken gemacht und im September 2023 entschieden, wieder nach München zu gehen.
Negative Erfahrung war kein Fail
Trotzdem sagt Kimi, dass sie das Ganze nicht als Fail sieht und es genauso wieder machen würde: "Es hat mich kein Mensch gezwungen, nach Chamonix zu ziehen. Das war meine Entscheidung. Und diese Entscheidung kam ja auch irgendwoher. Und ich glaube, wenn ich es nicht gemacht hätte, würde ich mir bis heute die Frage stellen: Was wäre wenn?"
Diesen Spätsommer will Kimi noch mal probieren, in die Top 10 beim UTMB zu kommen. Sie glaubt, dass sie jetzt mit einem anderen Gefühl an die Sache rangehen wird: "Ich merke, dass ich irgendwie die Leichtigkeit habe, die ich 2022 hatte. Und ich glaube, dass mir das helfen wird, bei dem Rennen befreit am Start zu stehen."
Lernen, mit Rückschlägen umzugehen
Martina Leisten hat eine ähnlich Erfahrung wie Kimi durchgemacht. Sie hat sich mit einem Café selbständig gemacht. Aber der Laden lief nicht und am Ende stand sie sogar mit Schulden da. Deswegen hat sich Martina dazu entschieden, anderen in ähnlichen Situationen als Coach zu helfen. Sie hat auch ein Buch für Menschen geschrieben, die gescheitert sind, Versagensängste haben oder ihr Leben einfach mal umkrempeln wollen.
Wichtig: Aus Fehlern lernen
Martina ist der Meinung, dass das Scheitern in unserer Gesellschaft zu negativ gesehen wird. Das hänge mit unserer Fehlerkultur zusammen. Menschen werden ihrer Ansicht nach schnell verurteilt, wenn sie Fehler machen: "Ich kann Fehler machen, ohne zu sagen, dass ich gescheitert bin. Und Fehler sind etwas, woraus man ja auch lernen kann."
"Wir haben nicht gelernt zu scheitern. Also es gibt immer noch so eine Blaming-Kultur, wo man gerne mit dem Finger auf andere zeigt."
Perfektionismus begünstigt das Scheitern
Martina Leisten zufolge gibt es Menschen, die besser mit dem Scheitern klarkommen. Andere dagegen tun sich schwer. Dazu gehören Menschen, die sehr ehrgeizig und perfektionistisch sind: "Hohe Erwartungshaltung an sich selbst, an andere oder an das Ereignis führen häufig dazu, dass man, wenn es dann nicht klappt, in dieses Gefühl oder in diese Bewertung kommt. Und von daher sind manche prädestiniert dafür."
"Stehaufmännchen sind häufig nicht so perfektionistisch oder grübeln auch nicht solange über das, was da passiert ist."
Oft ist es aber auch schwierig, sich einzugestehen, dass man gescheitert ist. Martina Leisten sagt, man sollte etwa auf die äußeren Umstände achten: "Wenn das Geld ausgeht, wo man merkt, jetzt geht es wirklich nicht weiter. Aber den Absprung zu schaffen, den eigenen Punkt zu finden, das hat häufig auch viel mit Leidensfähigkeit zu tun." Menschen, die leidensfähiger sind, könnten auch länger an etwas festhalten. Es sei wichtig, in die Kommunikation mit anderen zu gehen und Ratschläge einzuholen.
"Das sind auch die Menschen, die zu mir ins Coaching kommen, die häufig an Burnout erkrankt sind. Die den – sage ich mal – Schuss nicht gehört haben."
Außerdem sollten wir die Enttäuschung und die Wut über das Scheitern zulassen, sagt die Autorin: "Je länger man das unterdrückt, umso länger bleibt es auch da." Martina Leisten hat es in ihrer schwierigen Situation damals auch geholfen, Abstand zur Situation zu bekommen: "Wenn man dann eben sagt, okay, ich fahre jetzt erstmal weg. Ich will den Kopf freikriegen. Dann ist das auch schon mal ein erster Schritt."
Keine Angst vorm erneuten Scheitern haben
Wer schon einmal gescheitert ist, der traut sich manchmal auch schwieriger an neue Projekte heran. Martina Leisten findet, wir sollten uns von solchen negativen Erlebnissen nicht unterkriegen lassen. Und es ist auch vollkommen in Ordnung, Angst zu haben: "Die Angst darf wie im Auto auf dem Beifahrersitz sitzen. Du hast aber das Steuer in der Hand und guckst nach vorn und kannst mal nach nebenan nicken und sagen: Ja, ja, du bist da. Aber ich fahre weiter."
Für die Zukunft wünscht sich Martina Leisten, dass Menschen schon früh lernen – möglichst bereits im Kindergarten –, das Scheitern nicht so negativ zu bewerten.
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