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Die Angst, dass sich der Krieg in Europa ausweitet, wächst – in Polen ist sie besonders groß. Als direkter Nachbar der Ukraine rüstet das Land auf. Doch wie stehen junge Polinnen und Polen dazu? Die 19-jährige Estera ist statt in den Urlaub ins Militär-Bootcamp gegangen.

Estera, 19, aus Polen sagt, dass sie sich komplett freiwillig und alleine für das Militärtraining entschieden hat. Allerdings wusste kaum jemand Bescheid – nur ihre Eltern.

Das Bootcamp ging einen Monat lang. Dazu gehörten neben dem Grundtraining auch das Training an der Waffe. Estera sagt, dass sie sich schon als Kind vorstellen konnte, Soldatin zu werden. "Es war mein Kindheitstraum. Und ich wollte herausfinden, ob ich das überhaupt schaffe und durchhalte."

80 von 120 Teilnehmenden ziehen Bootcamp durch

Am Ende des Bootcamps war Estera auch sehr stolz auf sich. Angefangen hat das Training nämlich mit 120 Teilnehmenden – übrig waren zuletzt noch 80. Vor allem Männer haben irgendwann abgebrochen. Von den Frauen haben so gut wie alle durchgezogen.

Die 19-jährige Estera im Militär-Bootcamp während einer Trainingseinheit
© Privat
Die 19-jährige Estera im Militär-Bootcamp während einer Trainingseinheit

Rückblickend sagt aber auch Estera, dass es hart war. Sie erinnert sich vor allem an ein besonders schlimmes Training, als sie mit sehr viel schwerer Ausrüstung unterwegs war: "Ich musste einen Tag lang mit schwerem Rucksack, Helm, Jacke und Stiefeln trainieren. Das war der schlimmste Tag in meinem Leben."

Ein Highlight war für Estera dagegen das Schießtrainig.

"Es war stressig, weil ich wusste, es ist eine echte Waffe, echte Munition und das ist sehr gefährlich. Aber damit zu feuern, war ein super Gefühl, weil es neu war. Ich mag es, neue Sachen zu probieren."
Estera, hat im Sommer an einem Militärcamp teilgenommen

Estera sagt, dass sie froh ist, das Camp absolviert und geschafft zu haben. Trotzdem hat sie sich dafür entschieden, die Militärausbildung nicht fortzuführen und inzwischen ein Studium angefangen. Allerdings ist Estera nun Reservistin der polnischen Armee. Heißt: Falls Polen angegriffen wird – etwa von Russland – könnte es sein, dass Estera einberufen wird. Sie hofft allerdings, dass es nicht dazu kommt: "Ich habe Angst davor, dass das passiert. Aber wenn sie mich einziehen, habe ich keine andere Wahl, als zur Armee gehen."

Mehr Zustimmung für Militär durch Bedrohungslage

Das Militärcamp an dem Estera teilgenommen hat, ist kein Einzelfall. Die polnische Armee hat viele militärische Angebote für junge Leute, beobachtet Pauline Pieper, ARD-Korrespondentin in Warschau: "Es gibt Tageskurse, Wochenendkurse, Ferienkurse. Dadurch, dass der Krieg in der Ukraine vielen Leuten sehr nah vorkommt, ziehen das schon viele in Erwägung."

Pauline Pieper hat auch den Eindruck, dass sich die Haltung vieler junger Polinnen und Polen geändert hat – und sie jetzt positiver dem Militär gegenüberstehen.

"Früher habe ich gedacht, dass die Armee unnötig ist: Wofür so viele Waffen in der Welt? Heutzutage bin ich stolz darauf, dass wir so viel für die Armee ausgeben. Im empfinde Stolz, wenn ich einen polnischen Soldaten sehe."
Arthur, junger Pole

In Deutschland wären Umfragen zufolge etwa 17 Prozent der Bürgerinnen und Bürger bereit, ihr Land im Ernstfall zu verteidigen. Zahlen aus Polen liegen nicht vor. Aber unsere Korrespondentin hat nach Gesprächen mit jungen Polinnen und Polen einen anderen Eindruck. Viele würden im Ernstfall zur Armee gehen. Es gibt aber auch Stimmen, die sagen, sie würden im Kriegsfall eher versuchen, zu fliehen.

Gleichzeitig zeigen Umfragen in Polen, dass 83 Prozent der Befragten der Armee vertrauen, so Pauline Pieper. Das liegt aus Ansicht der Korrespondentin daran, dass die Menschen seit der gestiegenen Bedrohungslage ängstlicher sind und die Armee für sie Schutz bedeutet.

Militärausgaben in Polen gestiegen, aber Personal fehlt

Polen hat in den letzten Jahren sehr viel Geld in die eigene Armee gesteckt. Damit konnte die Aufrüstung aufgestockt werden. Aber Polen hat ein ähnliches Problem wie Deutschland: es fehlen Soldatinnen und Soldaten. Denn Polen hat 2008 die Wehrpflicht abgeschafft.

Momentan hat die polnische Armee nach Schätzung der Nato rund 216.000 Soldatinnen und Soldaten - damit liegt sie auf Platz drei im Nato-Ranking, nur die USA und die Türkei liegen davor. Laut dem polnischen Ministerpräsidenten Donald Tusk soll die Zahl zukünftig auf 500.000 steigen.

Die polnische Regierung plant deshalb eine militärische Ausbildung für alle Männer. Wie die aussehen soll, ist aber noch nicht im Detail bekannt.

"Wenn man sich insgesamt anschaut, wie viel Geld Polen ausgibt, dann kann man sagen, dass Polen gerade auf dem Weg ist, die stärkste konventionelle Armee in Europa zu werden."
Pauline Pieper, ARD-Korrespondentin in Warschau

Auch die Geschichte spielt eine Rolle

Zwischen Russland und Polen liegt nur die Ukraine und deshalb ist Angst in der polnischen Bevölkerung vor einem russischen Angriff relativ groß, meint Pauline Pieper. Das sei aber nur ein Grund. Auch die Geschichte spiele eine Rolle. "Russland ist in Polen immer als Aggressor aufgetreten. In Zweiten Weltkrieg hat nach Deutschland auch die Sowjetunion Polen besetzt", so Pauline Pieper.

Zwar geht Polen nicht davon aus, dass das Land sich alleine gegen Russland stellen kann, so Pauline Pieper. "Man geht aber davon aus: Wenn man in Europa zusammenhält, dann könnte man auch Russland etwas entgegensetzen", so die ARD-Korrespondentin.

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Shownotes
Militär statt Urlaub
Wie junge Polen sich auf Krieg vorbereiten
vom 14. März 2025
Moderation: 
Marcel Bohn
Gesprächspartnerin: 
Estera, hat im Sommer an einem Militärcamp teilgenommen
Gesprächspartnerin: 
Pauline Pieper, ARD-Korrespondentin in Warschau