Sie sind einfach überall - im Bett, in der Küche, in unserer Handtasche oder im Bus: Milliarden von Mikroben. Das ist weder schlimm noch gefährlich. Die meisten von ihnen sind sogar nützlich, sagt die Mikrobiologin Susanne Thiele. Putzen kann deshalb auch krank machen. Also: Mehr Mut zum Dreck!
Wir können sie nicht sehen, und doch leben wir mit Milliarden von ihnen zusammen: Mikroben. Bakterien, Viren, Pilze. Keine Panik, wir brauchen sie wirklich. Wir sollten auch nicht versuchen, sie zu vernichten, sagt die Mikrobiologin Susanne Thiele, die auf ihrem Blog Mikrobenzirkus erklärt, warum es eigentlich gut ist, dass wir nicht alleine sind.
"Wir müssen uns klar machen, dass in unserer Umwelt die wenigsten Mikroben Krankheitserreger sind."
Die wenigsten Mikroben sind überhaupt Krankheitserreger, erklärt Susanne Thiele im Interview mit Sebastian Sonntag: nur rund 0,1 Prozent. Wir hätten ein sehr einseitiges Bild von ihnen - ein eher schlechtes eben.
Ohne Mikroben könnten wir nicht leben
Mikroben haben aber auch andere Rollen, sagt die Mikrobiologin, die auch ein Buch darüber geschrieben hat, wie diese Mikroorganismen unser Leben bestimmen: Es gibt unter ihnen auch Freunde, also nützlich mit uns vergesellschaftete Kleinlebewesen, denen wir unsere Gesundheit verdanken. Rund zwei bis drei Kilogramm Bakterien trägt jeder von uns mit sich herum. Holobiose nennt man das, erklärt Susanne Thiele: "Wir leben in einer Symbiose. Wir sind kein Einzelorganismus. Und das ist auch gut so." Ohne die entsprechenden Bakterien im Darm zum Beispiel könnten wir überhaupt nicht verdauen.
Putzen kann Raum für Krankheitserreger schaffen
Und dann gibt es noch die sogenannten Kommensalen, zu Deutsch: Tischgenossen. Die sitzen einfach gemeinsam mit uns rum und tun weiter nichts. Dabei besetzen sie aber Plätze, an denen sich sonst Krankheitserreger absetzen könnten.
Deshalb, so Thiele, kann Putzen auch Raum für Krankheitserreger schaffen. Vor allem Putzmittel mit antibakteriellen Zusätzen sind ein absolutes No-Go aus ihrer Sicht: "Die antibakteriellen Mittel gehören wirklich in die Hände von Profis. Die brauchen wir gar nicht!"
"Wir putzen uns krank. Es ist einfach zu sauber."
Auch im Kleinen müsse die Artenvielfalt geschützt werden, damit sich Krankheitserreger nicht stärker und schneller durchsetzen können und wir zudem an die Mikroben gewöhnt bleiben. Wir putzen also sozusagen unsere "Freunde" weg, die wir eigentlich brauchen. So können wir auch Allergien fördern, warnt Susanne Thiele.
Tipp: Standardreiniger, Lüften, Zimmerpflanzen
In einem normalen Haushalt brauche man deshalb nur drei Standardreiniger:
- Neutralreiniger für Fußboden oder Fenster
- Zitronensäure oder Essig zum Beseitigen von Kalk und Ablagerungen
- Scheuermilch für hartnäckige und verkrustete Verschmutzungen
Und wir können noch etwas tun: Durch regelmäßiges Lüften hole man Umweltkeime ins Haus, die eben diese Kommensalen-Rolle ausfüllen. Zimmerpflanzen, Grünlilien zum Beispiel, bringen ebenso gute Bakterien mit rein, sagt Susanne Thiele. Und auch Hunde und Katzen seien gut: "Einfach für ein bisschen Umwelt in deiner Wohnung sorgen!"
"80 Prozent aller Infektionskrankheiten kann man übers Händewaschen verhindern."
An vielen Orten, wo wir sie vermuten, lauerten Krankheitserreger auch überhaupt gar nicht, erklärt Susanne Thiele. Beispiel Haltestangen in Bussen: Mikroben fänden es dort viel zu ungemütlich: zu kalt, zu trocken. Worauf wir aber achten sollten: nach der Busfahrt nicht in den Augen wischen oder in den Mund fassen. Stattdessen: Hände waschen. Dann sei man vor den meisten Infektionskrankheiten schon geschützt. Die Tipps der Mikrobiologin:
- so lange waschen wie es dauert, "Happy Birthday" zu singen
- die Daumen nicht vergessen
- Seife verwenden
- die Wassertemperatur ist egal
Mehr Krankheitserreger in der Küche als im Klo
Viel mehr Krankheitserreger als im Bus findet man zum Beispiel in der eigenen Küche, sagt Susanne Thiele. Hier solle man mehr Hygiene walten lassen - wobei man sich viel mehr als einen Durchfall dort normalerweise auch nicht einfangen könne. Ihr Rat: getrennte Brettchen für Gemüse und Fleisch. Holzbrettchen seien aber kein Problem, die können sogar antibakteriell wirken. Man müsse sie nur gut abschrubben und trocknen lassen.
"Jeder Ort in unserem Haus ist eine ökologische Nische, wo Spezialisten einziehen."
Viel problematischer sind laut Susanne Thiele folgende Gegenstände:
- Küchenschwämme: Die können wir eine Weile lang regelmäßig bei 60 bis 90 Grad mit Waschpulver waschen und gut trocknen lassen bevor wir sie wegwerfen, rät die Mikrobiologin. Wer aber ein schwaches Immunsystem hat, sollte die Schwämmchen wöchentlich auswechseln.
- Kaffeemaschinen: Es gibt Bakterien, die Koffein mögen. Einfach regelmäßig Filterhalter und Wasserbehälter ausspülen genüge aber völlig.
- Geld: Darauf wurden schon die kuriosesten Keime nachgewiesen, erzählt die Mikrobiologin. Allerdings sei das auch ganz nützlich, um unser Immunsystem zu trainieren. Das müsse nämlich Keime auch erkennen, weil es sonst auf harmlose Substanzen losgehe - wie bei Allergien. Man sollte Geld nur eben nicht in den Mund nehmen und Scheine nicht ewig in der Hosentasche brüten lassen.
- Smartphones: Da sammelt sich einfach alles!
"Wir brauchen in gewisser Weise auch ein bisschen Keime, damit wir unsere Sparringpartner haben."
Im Gegensatz zur Küche sei die Toilette aber zum Beispiel total überschätzt in Sachen Keimen. Erstens werde dort in der Regel viel geputzt, und zweitens setzten sich Krankheitserreger gar nicht gerne auf eine kalte, trockene Klobrille. Nur sollten wir vor dem Spülen immer den Klodeckel zu machen, damit wir oder Gegenstände im Bad - die Zahnbürste zum Beispiel - nicht die Spülwolke abbekommen.
"Man sollte mehr küssen!"
Im Interview mit Sebastian Sonntag hat Susanne Thiele noch viel mehr Spannendes über Mikroben erzählt. Wenn ihr zum Beispiel hören wollt, wie Bakterien sich an das zunehmende Plastik-"Angebot" im Meer anpassen und warum Küssen so gut ist, klickt zum Hören oben auf den Play-Button.