Der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank, Meron Mendel, lebt seit über 20 Jahren in Deutschland. Mit Sorge blickt er auf die Entwicklungen in Israel und wünscht sich mehr Kritik an der israelischen Regierung – von Deutschland.
Aufgewachsen ist Meron Mendel in einem Kibbuz in Israel, seit mehr als 20 Jahren lebt er nun in Deutschland und ist seit 2010 Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. Der geplante Umbau der Justiz in Israel macht ihm Angst: "Weil alles auf dem Spiel steht". Von Deutschland erwartet der Historiker und Pädagoge deutlichere Kritik an der israelischen Regierung.
Auf die Frage, wie viele Sorgen er sich gerade um die israelische Demokratie macht, sagt Meron Mendel: "Zwischen eins und zehn? 9,5". Die Entwicklungen in der "einzigen Demokratie im Nahen Osten", wie Israel oft bezeichnet wird, sieht er an einem Kipppunkt. "Das ist ein Schicksalsmoment für Israel, weil alles auf dem Spiel steht", sagt der Direktor der Bildungsstätte Anne Frank. "Wenn man in die Geschichte Israels schaut, gab es viele Punkte, in denen Israel in einer existenziellen Gefahr war", ergänzt er. "Aber der Unterschied ist: Das war immer von außen."
"Dass Israel so stark, so existenziell von innen bedroht ist, so einen Moment gab es noch nicht."
Die existenzielle Bedrohung von innen kommt aus den Reihen der rechts-religiösen Regierung um Ministerpräsident Benjamin Netanjahu. Seit Ende 2022 im Amt, strebt sie einen Umbau der israelischen Justiz an. Die Pläne sehen unter anderem vor, Entscheidungen des Obersten Gerichts mit einfacher Mehrheit im Parlament aufheben zu können. Die Gewaltenteilung würde dadurch massiv geschwächt. "Das ist keine Justizreform, das ist ein Systemwechsel", sagt Meron Mendel.
Entwickelt sich Israel zur Theokratie?
Die Folgen könnten verheerend sein, sagt der Historiker und Pädagoge - zunächst für die Minderheiten im Land, schließlich auch für den Rest der Bevölkerung. Israel könnte zu einer Art Theokratie werden, in der die Medienlandschaft immer abhängiger, die Lehre in Schulen immer nationalistischer und der Siedlungsbau noch expansiver werden.
Kritik an den Plänen kommt aus der israelischen Bevölkerung - Hunderttausende Menschen haben in den vergangenen Momenten gegen die Regierung protestiert. Auch aus Deutschland gibt es Kritik - aber zurückhaltend.
Klartext als Freundschaftsbeweis
Meron Mendel findet das falsch. "Die Israelis, mit denen wir wirklich die gemeinsamen Werte teilen, die erwarten, dass Klartext aus Berlin kommt", sagt er. Aus einer aufrichtigen Sorge um die Menschen im Land heraus eine radikale, deutliche Kritik an der Regierung zu üben, habe mit Antisemitismus nichts zu tun, findet Meron Mendel.
"Das ist der Beweis dafür, dass man wirklich Freund ist."
Meron Mendel, aufgewachsen in einem Kibbuz im Süden Israels, lebt zwar schon lange in Deutschland, sieht sich heute aber noch als "Linker", der sich für eine friedliche Lösung zwischen Israelis und Palästinensern einsetzt. "Unsere gemeinsamen Feinde sind die radikalen, die fundamentalistischen Kräfte auf beiden Seiten", sagt er.
"Ich bin pro-israelisch und pro-palästinensisch."
Wenn in Deutschland über den Nahost-Konflikt diskutiert wird, fehlt es nach seiner Ansicht oft an der notwendigen Differenzierung und einem fundierten Wissen über die Situation vor Ort. In seinem Buch "Eine deutsche Debatte: Über Israel reden" beschäftigt er sich unter anderem mit der Frage, warum der Nahostkonflikt auch in Deutschland eine solche Bedeutung hat und die Debatte oft so emotional und vergiftet ist.
Was Meron Mendel sich beim Reden über Israel wünschen würde, wie ihn das Aufwachsen im Kibbuz politisch geprägt hat und was sein Lieblingsort in Israel ist, das hört ihr im Deep Talk. Einfach oben auf den Play Button klicken.
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- Meron Mendel: "Über Israel reden - eine deutsche Debatte", Kiepenheuer & Witsch, März 2023.