Krankheiten zeigen sich bei den verschiedenen Geschlechtern unterschiedlich. Lange standen jedoch nur männliche Symptome im Vordergrund. Doch die Forschung erkennt das Problem – und eine gleichberechtigte Medizin ist nicht mehr weit weg, sagt der Molekularbiologe Frank Kirchhoff.
Ein Herzinfarkt ist ein mittlerweile bekannteres Beispiel dafür, dass sich Erkrankungen bei den Geschlechtern unterschiedlich bemerkbar machen. Der stechende Brustschmerz kann bei Frauen deutlich schwächer sein. Frauen fühlen eher ein Gefühl von Druck oder Enge in der Brust.
Es kann sein, dass Frauen zu spät zum Arzt gehen, weil ihre Krankheitsbilder von den bekannten männlich geprägten abweichen können. Sie deuten ihre Erkrankung dann möglicherweise als nicht so lebensbedrohlich, wie sie möglicherweise ist.
"Man hat dann einfach gesagt, dass es beim anderen Geschlecht so ähnlich ist"
Das Bewusstsein für geschlechtsspezifische Unterschiede in der Medizin sei in den vergangenen Jahren stark gestiegen, erklärt Professor Frank Kirchhoff. Der Molekularbiologe leitet das Centrum für geschlechtsspezifische Biologie und Medizin an der Universität des Saarlandes.
Der Grund dafür, dass jahrzehntelang vor allem männliche Symptome im Vordergrund standen: Viele medizinische Erkenntnisse basieren auf Tierversuchen. Die wurden häufig nur an einem Geschlecht durchgeführt.
"Man hat dann einfach gesagt, dass es beim anderen Geschlecht so ähnlich ist", sagt Frank Kirchhoff. Neuere Technologien können zudem subtilere Unterschiede zwischen den Geschlechtern besser darstellen.
Erkrankungen treten bei Geschlechtern unterschiedlich häufig auf
Doch nicht nur Symptome können bei den Geschlechtern unterschiedlich ausfallen. Neuronale Erkrankungen treten auch unterschiedlich häufig auf: Frauen sind dreimal so oft von Multipler Sklerose betroffen wie Männer, die haben allerdings den schwereren Verlauf. Alzheimer trifft ebenfalls doppelt so viele Frauen wie Männer, Autismus ist wiederum bei Männern häufiger. "Wir versuchen, die Gründe für diese unterschiedliche Verteilung zu erklären", sagt Frank Kirchhoff.
Bei einer Tagung zu Gendermedizin, die aktuell an der Universität des Saarlandes stattfindet, stellte eine US-Forscherin eine in diesem Zusammenhang wichtige Studie vor. Sie zeigte, dass die Hirnareale bei Frauen stärker zwischen den beiden Hirnhälften verknüpft sind und bei Männern mehr innerhalb der einer Hirnhälfte. "Das spielt eine ganz große Rolle bei Erkrankungen des Nervensystems", erklärt Frank Kirchhoff.
Auch die medizinische Diagnostik nimmt den Mann als Maßstab
Unterschiede zeigen sich auch bei Autounfällen: Männer kommen nach einem Zusammenprall oft unbeschadeter davon als Frauen. Eine Studie hat genau diesen Zusammenhang untersucht.
In die Studie sind Daten von mehr als 56.000 Unfallopfern geflossen – bei den Probanden handelt es sich zur Hälfte um Männer und zur Hälfte um Frauen.
Die Studie kam zu dem Ergebnis, dass Frauen nach Verkehrsunfällen andere Verletzungen hatten als Männer. Beispielsweise hatten Frauen viel häufiger Becken- und Leberverletzungen. Bei Männern waren hingegen andere Regionen eher betroffen.
Auto-Sicherheit orientiert sich an Männern
Das hat mehrere Gründe: Einerseits sind Autos so designt, dass der Mann besser hineinpasst als die Frau. Crashtest-Dummys für simulierte Autounfälle sind nach cis-männlichem Vorbild geschaffen. Die Sicherheit von Autos orientiert sich also an männlichen Körpern.
Aus dem Design der Autos folgt außerdem, dass Frauen oft tiefer sitzen als Männer, weil sie eher kleiner sind. Das heißt, sie sitzen näher am Lenkrad, die Beine sind näher an den Armaturen. Das kann auch dazu führen, dass Frauen bei Unfällen eher eingekeilt werden.
Wissenschaft auf dem richtigen Weg
Außerdem wurde festgestellt, dass Frauen, auch wenn sie scheinbar geringere Verletzungen hatten, häufiger in Schockzustände gerieten. Das bedeutet, der Blutdruck war zu niedrig und das Blut zirkuliert nicht richtig. Dieser Zustand kann lebensgefährlich sein.
Ein Ziel der Gendermedizin ist es, dass die Geschlechter die gleiche medizinische Versorgung erhalten und Symptome unabhängig vom Geschlecht zu Diagnosen führen.
Frank Kirchhoff ist zuversichtlich, dass die Wissenschaft auf dem richtigen Weg ist: „Ich gehe davon aus, dass mit jedem Jahr, in dem wir unsere Forschung vorantreiben, die Unterschiede geringer werden. Das wird noch ein paar Jahre dauern, aber die Wissenschaftswelt ist darum bemüht, genau diese Unterschiede schnellstmöglich abzuarbeiten.“