Im Krieg ringen Militär und Medien um die Deutungshoheit: Wie zuverlässig ist die journalistische Berichtserstattung aus Kriegsgebieten? Welche Rolle spielten Medien historisch in Kriegen? Ein Vortrag des Medienwissenschaftlers Michael Haller.
Das meiste, was wir über einen Krieg wissen, zum Beispiel über den Krieg in der Ukraine, erfahren wir aus den Medien. Es gibt Kriegsreporter*innen, die vor Ort sind und berichten. Expert*innen analysieren das Geschehen, auch wenn sie selbst nicht vor Ort sind. Wie zuverlässig sind diese Berichte? Wie kommt das Bild zustande, das wir von einem Krieg haben?
"Orientieren uns die Journalisten zutreffend, ausgewogen und umfassend?"
Um diese Fragen geht es im Vortrag von Michael Haller. Er ist Medienwissenschaftler und Direktor des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung.
Die Frage, wer die Deutungshoheit in einem Kriegsgeschehen hat, stellt sich überhaupt nur in Demokratien, in denen es einen unabhängigen Journalismus gibt, betont Haller.
"Die von den Militärs gern benutzte Begründung geht so: Berichte unabhängiger Kriegsreporter könnten dem Feind wertvolle Informationen liefern und damit dem eigenen Interesse schaden."
In seinem Vortrag erzählt Michael Haller, unter welchen unterschiedlichen Voraussetzungen Reporter*innen und Journalist*innen im Laufe der Geschichte von Kriegen berichtet haben und berichten konnten.
Das Militär, so Haller, habe meist große Bedenken, eine freie Berichterstattung zuzulassen. Das Argument lautet, dass durch Kriegsberichterstatter*innen wichtige Informationen an den Feind geliefert würden. Dafür habe es aber in den letzten 170 Jahren keine Belege gegeben, so Haller.
Kriegsjournalismus nimmt die Perspektive des Militärs ein
Vielmehr hätten Journalist*innen immer wieder die Perspektive des Militärs selbst eingenommen. Als Beispiel nennt der Medienwissenschaftler den Koreakrieg von 1950 bis 1953: Die westlichen Medien meinten damals an der Seite des Militärs für die Befreiung und Demokratisierung Koreas zu kämpfen. Eine Zensur war deshalb überflüssig. Die problematischen Aspekte und Fehler der USA während des Korea-Krieges seien erst später durch Militärhistoriker*innen aufgedeckt worden.
"Die Medien fokussieren aus der Vielfalt der Ereignisse genau die Themen, die unser im Westbündnis verankerten Wertemuster bestätigen."
Auch heute noch, so Haller, prägt ein Wertesystem, das sich an der transatlantischen Allianz orientiert, die Berichterstattung in den meisten Medien in Deutschland. "Das ist ja auch nicht falsch. Aber was nicht in den Rahmen passt, wird kleingeredet oder weggelassen, und das ist das Problem", sagt Haller.
Michael Haller war Professor für Journalistik an der Uni Leipzig und ist jetzt Direktor des Europäischen Instituts für Journalismus- und Kommunikationsforschung. Seinen Vortrag "Die Medien im Krieg" hielt er am 8. Oktober 2024 in Leipzig im Rahmen des Symposiums Schicksalsgemeinschaft – Verlorener Frieden in Europa. Organisiert wurde das Symposium von der Medienstiftung der Sparkasse Leipzig.