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Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) zielte mit seinen Taten auf die Sichtbarkeit von Migranten. Ein Vortrag der Literaturwissenschaftlerin Katrin Trüstedt über die Sichtbarkeit der Opfer im NSU-Prozess.

Der sogenannte Nationalsozialistische Untergrund (NSU) hat 13 Jahre bestanden, in denen die Terrorgruppe zehn Menschen ermordet und viele weitere verletzt hat. Wie die Taten des NSU gesellschaftlich aufgearbeitet werden, daran forscht Katrin Trüstedt. Sie ist Politik- und Literaturwissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung. Dort leitet sie den Forschungsbereich "Politik des Erscheinens".

"Wie geht eine Gesellschaft damit um, wenn sie unter Beschuss ist? Wenn am helllichten Tage neun ihrer Mitglieder als Repräsentanten der Migrationsgesellschaft hingerichtet und viele weitere verletzt werden?"
Katrin Trüstedt, Politik- und Literaturwissenschaftlerin

Die Opfer der NSU-Mordserie waren fast ausschließlich Migranten, die tagsüber bei ihrer Arbeit getötet wurden. Dass ihre Arbeit im öffentlichen Raum sichtbar war, spielt eine zentrale Rolle, sagt Katrin Trüstedt. Denn der NSU habe es auf die Sichtbarkeit von Migranten abgesehen.

"Auf verschiedene Weise werden die Opfer des Terrors in dieser rechtlichen Antwort auf den Terror aus dem Blickfeld gerückt, übergangen und immer wieder daran gehindert, im Prozess in Erscheinung zu treten."
Katrin Trüstedt, Politik- und Literaturwissenschaftlerin

Als Antwort auf den Terror eröffnete die Gesellschaft, vertreten durch die Bundesanwaltschaft, am 6. Mai 2013 den NSU-Prozess, erklärt Katrin Trüstedt. "Das Verfahren verfolgt dabei aber einen eigenen Zweck mit einem anderen Fokus als dem der gesellschaftlichen Aufarbeitung. Es geht um die Feststellung einzelner individueller Schuld," so die Politikwissenschaftlerin.

Aufarbeitung des NSU am Theater

Eine Aufarbeitung findet hingegen in den "NSU-Tribunalen" statt, die in Kooperation mit Theatern wie dem Schauspiel Köln und dem Hebbel am Ufer in Berlin entstanden. Das NSU-Tribunal ist ein Gegenprozess zum Strafverfahren, es ist ein Versuch, Gerechtigkeit für die Opfer zu erreichen, die im NSU-Prozess kaum sichtbar sind, erklärt Katrin Trüstedt.

"Nachdem die Attentate des NSU auf die Existenz und Sichtbarkeit seiner Opfer in diesem Land zielten, richtet der Prozess, der auf diese Gewalt antwortet, seine Aufmerksamkeit, seiner Eigenlogik gemäß, nicht auf die Opfer, sondern auf die Angeklagten."
Katrin Trüstedt, Politik- und Literaturwissenschaftlerin

Katrin Trüstedt ist Literaturwissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung. Ihr Vortrag heißt "Auftritt Nebenklage: NSU-Prozess, NSU-Tribunale und die Politik des Erscheinens", den sie am 18. November 2024 im Rahmen der "Virtuellen Universität" an der Ruhr Universität Bochum gehalten hat. Die Reihe fand im Kontext des Teilprojekts "Virtuelle Streitwelten. Foren und Tribunalisierungsdynamiken" des Sonderforschungsbereichs Virtuelle Streitwelten statt. Sie wurde organisiert von Friedrich Balke, Rupert Gaderer, Vanessa Grömmke und Anna Polze.

Shownotes
Literaturwissenschaft
Wie der NSU-Prozess den Terror aufgearbeitet hat
vom 26. Dezember 2024
Moderation: 
Nina Bust-Bartels
Vortragende: 
Katrin Trüstedt, Literaturwissenschaftlerin am Leibniz-Zentrum für Literatur- und Kulturforschung