Sie hat Karriere in der heißbegehrten Londoner Finanzbranche gemacht, obwohl es ihr niemand zugetraut hatte. Dennoch muss sie sich für den Erfolg erklären. Denn sie ist schwarz. Natasha Browns "Zusammenkunft" ist ein Debütroman, der den Spiegel vorhält.
"Das Einzige, das ’Women of Colour’ von irgendjemand anderen unterscheidet, sind Chancen" – Dieses Zitat stammt von der Schauspielerin und Oscar-Preisträgerin Viola Davis. Und mit Chancen sind ganz sicher nicht nur die Zeit in der Schule oder während der Ausbildung gemeint, sondern auch – vielleicht sogar in der Hauptsache: die Arbeitswelt. Diskriminierungen finden immer statt.
Das ist bis heute die traurige Realität von schwarzen Frauen. Und wenn diese Frauen auch noch aufsteigen wollen, also plump gesagt Karriere machen und mehr Geld verdienen, dann geht in sehr vielen Köpfen ein Gedankenkarussell los, das nicht immer, aber sehr oft eine Haltung gegenüber diesen Frauen fördert, die rassistisch ist. Darf die das? Warum will die das? Kann die das überhaupt wirklich?
Als Schwarze in die Englische Oberschicht
Mit dieser Haltung sieht sich die namenlose Hauptfigur in Natasha Browns Roman "Zusammenkunft" jeden verdammten Tag ihres Lebens konfrontiert. Jeden. Tag.
"Assembly" ist der englische Originaltitel des international viel beachteten und gelobten Romandebüts der Britin Natasha Brown aus dem Jahr 2022. Das Wort "assembly" lässt sich mit "Montage" übersetzen. Es beschreibt etwas, das zusammengesetzt wurde aus vielen verschiedenen Dingen, oder Teilen oder Erfahrungen.
Die deutsche Fassung des Romans heißt weniger poetisch: "Zusammenkunft". Und tatsächlich kommt in dem Roman sehr vieles zusammen. Ein Paar zum Beispiel. Beide ohne Namen. Er, der Freund, weiß und Sohn einer reichen Familie, deren Reichtum väterlicherseits in die Familie gebracht wurde. Das wundert sie, die Hauptfigur, nicht wirklich.
Ums Überleben kämpfen – im übertragenen und wörtlichen Sinn
Sie ist schwarz und die einzige in ihrer Familie, die nach einer Karriere strebt. Er tanzt durchs Leben, weil auf seinen Schultern nie viel lastet. Sie schleppt sich durchs Leben, immer im Überlebensmodus, weil sie den Druck von allen Seiten aushalten muss.
Man begegnet ihr mit Neid und Missgunst, mit Rassismus und Sexismus, mit skurrilen Vorwürfen und völlig falschen Bildern davon, wie sie denkt und lebt, woher sie kommt und wohin sie will. Sie muss sich ständig erklären. Und sich selbst vergewissern, wer sie ist und was sie möchte. Und sie muss um ihre Gesundheit kämpfen, denn die Protagonistin hat Krebs.
"Er weiß nicht, welche Opfer sie gebracht hat, um bis hierher zu kommen, während des Studiums, in ihrem Job in der Finanzbranche und danach."
Dieser kurze, aber dichte Roman wirft viele Fragen auf. Und lässt uns keine andere Wahl, als zu reflektieren, wie wir, die weißen Leser*innen, denken, was wir tun, wenn wir schwarzen Kolleg*innen begegnen, mit ihnen arbeiten, Zeit verbringen, umgehen. Kurzum: ob und warum wir selbst rassistisch handeln. Und gerade wer jetzt denkt: "Ich doch nicht", sollte "Zusammenkunft" lesen.
Das Buch
"Zusammenkunft" (OT: „Assembly“, Romandebüt) von Natasha Brown, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Jackie Thomae, erschienen bei Suhrkamp, 113 Seiten, Hardcover: 20 €, Taschenbuch: 12 €, eBook: 11,99 €, ein Hörbuch gibt es auch, gelesen von Benita Sarah Bailey, bei DAV, knapp 3 Std. lang; ET: 14.02.2022
Die Autorin
Natasha Brown arbeitete nach ihrem Mathematikstudium an der Universität Cambridge für zehn Jahre im Londoner Finanzsektor. 2019 gewann sie den London Writers Award und konzentriert sich fortan auf das Schreiben. Zusammenkunft gilt in England als das erfolgreichste literarische Debüt 2021. Zum Erscheinen zierte Natasha Brown das Cover des Vogue Magazine, hymnische Besprechungen folgten in allen namhaften Zeitungen. (Quelle: suhrkamp.de)