Es gibt eine Zeit im Leben, in der wir in eine undefinierte Zukunft blicken, wo alles noch offen scheint. Und schneller als man denkt, ist man über diesen Punkt hinaus. Und dann kommt der Punkt, an dem wir uns nach der Zeit zurücksehnen, als noch alles möglich war. Darum geht es in dem Buch "Was wir sind" von Anna Hope.
Es läuft immer gleich ab: Wenn sie ankommt, sind andere schon da. Frauen und Männer. Meistens mehr Frauen als Männer. Sie sitzen dicht bei einander, auf unbequemen Stühlen, in ungemütlichen Räumen, bei schlechter Luft. Alle sind nervös. Keiner spricht.
Wer neu hinzukommt, muss ein Formular ausfüllen. Lissa fragt sich jedes Mal, aus welchem zurückliegenden Jahrhundert diese Formulare stammen. Kein Mensch kennt seine Handschuh- oder Hutgröße. Lissa gibt ihr Gewicht an, ihren Brustumfang, ihre Kleidergröße.
Lissa hat eigentlich gar keine Lust, in peinlichen Werbespots mit unsinnigen Dialogen Rollenklischees erfüllen. Eigentlich, aber, Lissa ist Mitte dreißig und hat in den zurückliegenden zehn Jahren bereits mehrere Agentinnen verschlissen. Und: Sie braucht das Geld, fasst Deutschlandfunk-Nova-Reporterin Lydia Herms zusammen.
"Lissa kann sich die Jobs nicht aussuchen. Sie bekommt immer und immer wieder Absagen. Und: Sie braucht das Geld."
Im Buch "Was wir sind" von Anna Hope geht es um Lissa, die eigentlich zum Theater wollte – wie alle anderen Frauen auch, die jetzt mit ihr zusammen darauf hoffen, wenigstens in einem Werbespot mitspielen zu können. Lissa ist eine von drei Frauen, deren Lebenswege Autorin Anna Hope ungeschönt aufzeigt. Es geht um Fehlentscheidungen, unüberwindbare Konflikte und die viel zu hohen Erwartungen der drei Frauen.
Mit 35 Jahren blicken die Frauen auf die Zeit zurück, als sie noch 29 Jahre alt waren und die Welt noch offen stand. Als sie noch zu dritt in einer abgeranzten Villa gewohnt haben und zum Picknick frisches Gemüse vom Markt und billigen Wein gekauft haben.
"Sie möchten das Gefühl haben, alles noch vor sich zu haben."
Heute, mit 35 Jahren, stehen die Frauen aber schon fester im Leben und die Zukunft ist nicht mehr so offen. Cate hat schon ein Kind und stellt sich vor, wie es wäre, wenn sie einfach abhauen würde. Hannah hingegen hätte gerne ein Kind – sie und ihr Mann Nathan probieren es seit zwei Jahren. Lissa hingegen hält sie für eine Egoistin, die ständig trinkt und raucht und nur Karriere machen will. Bloß nichts Verbindliches. Aber damit irrt sie. Lissa ist vielleicht schon einen Schritt weiter, denn sie hat verstanden, dass irgendwann eben nicht mehr alles möglich ist.
Das Buch
"Was wir sind" von Anna Hope, erschienen bei Hanser, 360 Seiten, gebundene Ausgabe (Hardcover): 22 Euro, E-Book: 16,99 Euro, ET: 17.02.2020