Sex und Erotik in der Literatur ist ein ganz schwieriges Thema, weiß unsere Buchexpertin Lydia Herms. Sie hat schon häufiger mal ein Buch weglegen müssen, weil eine Sexszene so schlecht und billig war. Manchmal aber auch, weil sie so gut war. Aber was genau macht eine gute Darstellung von Sex in Büchern aus? Wir versuchen, uns diesem komplexen Thema anzunähern.
Um es direkt zu sagen: Wir werden hier nicht über Sexszenen wie aus "Fifty Shades Of Grey" reden. Das wäre ein bisschen zu platt. Auf dem weiten Feld der erotischen Literatur wurden schon so viele Wege beschritten, dass wir uns jenseits der üblichen Kassenschlager umschauen.
Erotik ist Geschmackssache
Was wir beim Lesen gut finden, was uns anturnt - und was wir eher langweilig oder vulgär finden, ist sicherlich Geschmackssache. Deutschlandfunk-Nova-Buchexpertin Lydia Herms beispielsweise mag das Skurrile, erzählt sie von sich selbst. Und sie verrät uns auch eine der aus ihrer Sicht abgefahrensten Sexszenen in der Literatur – sie stammt aus "Die Rückkehr der Jungfrau Maria" von Bjarni Bjarnason. "Darin kommt eine selbstgebaute Maschine zum Einsatz, die 'Sexhilfsmittel der Unendlichkeit' genannt wird", sagt Lydia Herms.
"Ich liege in der Missionarsstellung auf dir, wir sind in den Halbmond eingeschnallt, der eine Penisnippel befindet sich in deinem Hintern und der andere in meinem. Ich setze das Gerät durch meine Koitusbewegungen in Gang."
Lydia Herms räumt ein: "Was ich gut finde, finden andere mit Sicherheit eklig. Und umgekehrt." Klar ist das alles eine Frage von Geschmack - das relativiert die Sache. Zu verraten, welche Art von Sexszenen einen anturnen, gibt aber auch einen intimen Einblick in die eignen Vorlieben. Es ist eine Art Selbstoffenbarung – was in der Öffentlichkeit mitunter peinlich sein kann.
Sexszenen zu schreiben, ist peinlich
Das Sexszenen peinlich sind, wissen auch Autorinnen und Autoren. Haruki Murakami offenbarte 2014 in einem Interview mit der Zeit, dass er sich dazu zwingen muss, Sexszenen zu schreiben, weil er schüchtern sei und sich schäme "so etwas" zu schreiben, wie in seinem Roman "Gefährliche Geliebte".
"Sie kam nah an mich heran, nahm meinen Penis liebevoll in die Hand und küsste mich auf die Lippen. Sie legte ihre Hände auf meine Brust, und dann leckte sie mir sehr lange die Brustwarzen und streichelte mein Schamhaar."
Auch Autorin Anika Decker kennt das Gefühl, beim Schreiben peinlich berührt zu sein. Vor kurzem ist ihr erster Roman "Wir von der anderen Seite" erschienen. Auch darin sind Sexszenen, von denen Anika Decker sagt: "Ja, das ist peinlich, wenn ich das schreibe, weil dann ein Leser in mich hineingucken kann. Der weiß dann, was ich gut finden würde, wovon ich denke, dass das sexy ist, oder lustig, oder charmant."
"Ich schloss die Augen und ließ mir eine geschätzte Ewigkeit lang meine Arme und Hände massieren, bis ich butterweich wurde. Als Ulrike irgendwann bei meinen Füssen angelangt war, hatte ich sie längst vergessen und schwebte lüstern und schwerelos in der Luft."
Autorin Anika Decker lässt die Leserinnen und Leser also ein wenig in sie hineinschauen. Sie sagt auch selbst: "Darum geht es beim Schreiben. Man muss wirklich die Hosen runterlassen, sonst ist es nicht echt."
Schmaler Grat zwischen extrem und zart
Lydia Herms hat unzählige Bücher nach guten und schlechten Beispielen für Sexszenen durchstöbert. Gerade jene Autorinnen und Autoren, bei denen man Sexszenen erwartet, wie Michel Houellebecq, Sibylle Berg, oder Charlotte Roche. Lydia kommt zu dem Schluss, dass es die perfekte Anleitung für gute Sexszenen einfach nicht gibt. Manches sei eben eher mal extrem, wie bei Irvine Welsh zum Beispiel:
"Oohhh, zischte sie erregt und rammte mein Gesicht gegen ihre Möse. Ich fand mich nicht zurecht, krampfhaft bemüht, Luft durch die Nase zu bekommen, in die ein stechender Geruch stieg."
Andere Sexszenen seien eher angedeutet – wie die Szene aus Heinrich Bölls "Ansichten eines Clowns", wo der Protagonist im kalten Bett die Hände seiner Liebsten unter seinen Achseln wärmt. Hier bleibt die Sexszene auf der Ebene der zarten Andeutung – und doch ist alles klar.
Vielleicht, so schlussfolgert Buchexpertin Lydia Herms, ist genau das das Geheimnis einer guten Sexszene: Nicht sofort als solche erkennbar zu sein.