"GRM. Brainfuck" heißt der neue, sechshundertdreißig Seiten starke Roman von Sibylle Berg. "Grime" steht für den dreckigen Rest. Für ein letztes Aufbegehren. Für echte Verzweiflung. Und die schlägt uns im Buch gnadenlos entgegen.
"Wollen wir jemanden zusammenschlagen?"
Don sieht ihre Freunde an. Und ihre Freunde sehen sie an. Aber nur kurz. Denn dafür müssen sie sich von ihren Endgeräten losreißen. Begeistert scheinen sie von Dons Vorschlag jedenfalls nicht zu sein. Begeisterung kennen sie gar nicht.
Langeweile, Dreck und Pornos
Es ist einer dieser unendlichen Nachmittage, an denen nichts passiert. An denen sie sich treffen, Don, Karen, Hannah und Peter, vor einem der Häuser, in denen sie hausen. Meistens ziehen sie irgendwann weiter, zu den leerstehenden Fabrikhallen, von denen es in Rochdale wirklich viele gibt. Oder sie hängen auf dem mit Heroinspritzen verdreckten Spielplatz ab, bis die Sonne untergeht. Es ist heiß. Heißer als heiß. Klimawandel sei dank. Die vier Freunde sind gleichzeitig unruhig und gelangweilt. Pubertät sei dank.
Sie sollten etwas zu tun haben, mit fast sieben oder fast acht, mit zwölf oder älter. Sie sollten sinnvolle Hobbys haben. Andere, als mit sinnlosen Apps die Zeit totzuschlagen oder mit Pornovideos ihr Verständnis von Sex zu manifestieren. Sie sollten jetzt Eis essen, ein Ferienpraktikum machen, was lesen, und überhaupt: gesund sein und glücklich - wie richtige Kinder. Aber: Sind sie überhaupt richtige Kinder?
Sybille Berg sucht die Wut
Vor ungefähr fünfzehn Jahren entstand der Musikstil Grime in Großbritannien aus einer Mischung von Hip Hop, Drum and Bass und Wut. Sibylle Berg ist auf die britische Insel gereist, um nach dieser Wut zu suchen. Sie fand sie in den Städten der Abgehängten: in Liverpool, in Rochdale – und in London. Und vieles, was sie im Roman erzählt, ist so oder ähnlich passiert.
"Also: Wollen wir jemanden zusammenschlagen?"
Peter hat keine konkrete Meinung, Hannah auch nicht. Don weiß nicht, wohin mit ihrer Kraft. Karen hat eine bessere Idee. Sie schlägt vor, eine Liste anzulegen. Darauf kommen alle, die sie gequält und beleidigt haben. Und die bringen sie dann um.
Düster, verzweifelt und mit Wucht
Lang ist die Liste nicht, die die vier Freunde zusammentragen, während sie sich und die ganze Welt hassen und dabei kopfnickend Grime hören: Walter, der brutale Ex-Freund von Dons Mutter. Dr. Brown, der Hannahs Mutter im Krankenhaus verrecken ließ. Thome, der eine Suizid-Plattform programmiert hat, der Hannahs Vater zum Opfer fiel. Patuk, der Karen zur Prostitution gezwungen hat. Peters Mutter, die ihren Sohn für einen Mann verlassen hat. Der Mann. Und Sergej, der Peter missbraucht hat.
Vier Kinder. Eine Liste. Viel Wut. Kein Ausweg. Oder vielleicht doch? Was wäre, wenn sie abhauen würden, nach London, um dort alle aufzumischen?
"GRM. Brainfuck" von Sibylle Berg, erschienen bei KiWi, 634 S., ET: 11.04.2019