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Die schöne Freiheit der Gedanken – die genießt der Protagonist in Manuel Gübelis Roman "Die bestmögliche Vermutung". Er liebt das Denken. Nur mit Elena sind seine Gedanken plötzlich still. Das hätte ihn warnen sollen…

Er will zu Elena. Er weiß, dass Elena da sein wird. Sie wird in ihrer schönen, leeren Wohnung sein – vielleicht in der kleinen Küche oder in dem riesigen Wohnzimmer, rechts, am Ende des langen Flurs. Gespannt ist er trotzdem.

Sein Blick fällt nach unten auf seine Füße. Er weiß, dass sie sich und seinen ganzen Körper mit jedem Schritt nach vorn bewegen. Eine beachtliche Leistung! Trotzdem liebt er die Vorstellung sehr, seine Füße würden stattdessen die Welt nach hinten stoßen. Er zählt die Schritte bis zu dem Haus, in dem Elena wohnt. Das beruhigt seine aufgewühlten Gedanken.

Elena, die Überraschende

Elenas Haustür ist angelehnt, so, wie sie es angekündigt hat. Er geht durch den langen Flur, räuspert sich. Er will Elena nicht erschrecken, nicht wie ein Geist plötzlich auftauchen. Das ist ihre Spezialität, sich von hinten anschleichen und ihm etwas ins Ohr flüstern.

Elena sitzt im Wohnzimmer. Sie lächelt. Wie immer. Aber ihm fällt auf, dass das Lächeln ein bisschen anders als sonst ist, als habe sich etwas hineingeschlichen.

Im Bus hatte er sich einen Scherz zur Begrüßung ausgedacht. Natürlich klappt das hier nicht. Natürlich verhaspelt er sich. Natürlich ist das gegenüber Elena nicht wirklich schlimm. Seitdem er Elena kennt, ist alles viel weniger schlimm.

Ein Teilchen des Gesamtkunstwerks

Es ist offensichtlich, dass sie etwas ganz Bestimmtes will, etwas Großes. Sie wird es ihm sagen. Irgendwann heute wird sie ihm ihr Werk erklären, an dem sie arbeitet, in dem sie aufgehen wird und zu dem er seinen Beitrag leisten wird. Er wird es nicht verstehen. Aber sie wird fest behaupten, dass er es versteht.

"Es gibt Stellen, die einen zwingen, sich ungläubig am Buch festzukrallen, vielleicht sogar, darin hektisch zurückzublättern, die einem das Gefühl geben, rein gar nichts zu verstehen, obwohl alles logisch und deutlich vor einem liegt."
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Buchrezensentin

Manuel Gübelis lässt seinen Protagonisten seine unglaubliche Geschichte erzählen. Er hat auch einen Namen, so ist es nicht – den wollen wir hier aber nicht verraten. Ihr werdet beim Lesen verstehen, warum...

ER jedenfalls erzählt seine Geschichte so, als würde er seine Gedanken im gleichen Moment festhalten. Zum Beispiel, wenn er von seinen Therapiestunden bei einer gewissen Wacker erzählt. Dann kommentiert er das unmittelbar, zynisch, überfordert.

"Er erzählt eine unglaubliche Geschichte, von sich, von Elena und vom Denken."
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Buchrezensentin

Manchmal scheint er sich für seine Gedanken zu rechtfertigen – dafür, dass er sie hat und genießt. Zum Beispiel den Gedanken, erschossen zu werden. Der beruhigt ihn. Zwei Kugeln in die Stirn. Aber ohne den Schmerz und das ganze Blut.Von einem Tag auf den anderen müsste er sich um nichts mehr kümmern.

Er müsste auch nicht ans Telefon gehen, wenn seine Mutter anruft. Und die ruft ständig an. Aber dann taucht Elena auf, im Bus, an der Endhaltestelle, direkt hinter ihm. Sie lächelt. Sie riecht gut. Und sie spricht ihn an. Seine Gedanken sind plötzlich still. Kann das sein? Das hätte ihm eine Warnung sein sollen...

Der Autor: Manuel Gübeli ist Filmmacher, Künstler und Schriftsteller. "Die bestmögliche Vermutung" ist seine erste Erzählung. Manuel Gübeli lebt überwiegend in Basel und Berlin.

Das Buch:
"Die bestmögliche Vermutung" von Manuel Gübeli, Arisverlag, 194 Seiten, Hardcover, 25,90 Euro, erschienen am 20.03.2025.

Shownotes
Das perfekte Buch für den Moment…
…wenn du nichts lieber tust als Denken
vom 23. März 2025
Autorin: 
Lydia Herms, Deutschlandfunk-Nova-Buchrezensentin